Autismusshirt

Autismusshirt

Mittwoch, 31. Dezember 2014

NEUJAHR

Liebe Leser,
das neue Jahr ist da. Ich habe den Beginn verschlafen -- das letzte Jahr war recht anstrengend.
Meine Enkelin, die oft die Nacht zum Tag macht, hat auch nichts gehört. Wenn sie einmal schläft, dann kann nichts und niemand sie wecken. Dabei hätte ich gerne einmal miterlebt, wie sie auf die bunten Raketen reagiert hätte. Vor dem Knallen hätte sie sich wohl nicht gefürchtet, was sie von vielen anderen autistischen Kindern unterscheidet, für die die Silvesternacht eine echte Qual ist. Einer Reihe besonderer Kinder und noch viel mehr Tieren bereitet das Böllern richtig körperliche Schmerzen, weil das ohrenbetäubende Knallen durch Mark und Bein geht. Aber Rücksicht wird in diesem Land schon lange nicht mehr groß geschrieben. Da lobe ich mir Länder, in denen nicht privat geknallt werden darf sondern nur an bestimmten Plätzen, die die Leute aufsuchen können, die das neue Jahr laut begrüßen möchten. 

Doch ich habe noch etwas anderes zu sagen. Ich möchte mir nicht nur etwas für das neue Jahr wünschen, sondern ganz intensiv DANKE sagen. Dank sagen für alles das, was mir Gutes widerfahren ist im vergangenen Jahr, für Menschen, die mir in wirklich miesen Stunden und Situationen mit Worten und Taten geholfen haben.
Mein größter Dank gilt jedoch der Tatsache, dass es dich gibt, mein kleines "Fanti", meine Enkelin, und dass du dich so wunderbar entwickelst. Ich bin unendlich dankbar, dass du ein offensichtlich fröhliches Kind bist, Freude am Leben hast, so herzhaft lachen kannst, zufrieden vor dich hinträllerst und uns trotz deines noch extrem eingeschränkten Wortschatzes klar machen kannst, was du möchtest und was nicht. Inzwischen kannst du so gut mit uns kommunizieren, dass es täglich weniger ungewollte, aber unvermeidbare Missverständnisse und Konfliktsituationen gibt, die bei dir Wutanfälle auslösen. Denn es macht dir sehr zu schaffen, wenn man dich nicht versteht. Aber auch im Kindergarten bist du in der Lage, dich verständlich zu machen und kommst deshalb dort gut zurecht. Wir glauben immer noch, dass es richtig war, so lange mit dem Kindergarten zu warten. Mit deinen 5 Jahren hattest du den Stand erreicht, mit den Anforderungen fertig zu werden, obwohl ein langer Tag in der Einrichtung dich immer noch sehr schlaucht. Aber du wächst an deinen Aufgaben und du suchst dir zu Hause dann die Ruhe und Anlehnung, die du brauchst, um die ganzen Eindrücke des Tages zu verarbeiten.
So haben wir auch keine Angst mehr, dass die Schultage, die in einigen Monaten in der Förderschule auf dich zukommen, dich überfordern. Dort wirst du in behüteter Umgebung das lernen können, wozu du in der Lage bist, ohne Noten- und Leistungsdruck, sondern nach deinen Fähigkeiten. Auch dafür sind wir sehr dankbar, dass es noch diese Förderschulen gibt und du nicht zwangsweise in eine Regelschule inkludiert wirst, die dir mit deinen Besonderheiten niemals gerecht werden könnte. 
In diesem Sinne gehen wir zuversichtlich ins neue Jahr.
DANKE, dass es dich gibt.

Montag, 29. Dezember 2014

Jahresrückblick

Liebe Leser,
wie war dieses Jahr?
Ich teile es gerne auf in zwei Bereiche - in den, der meine autistische Enkelin und den, der mein sonstiges Leben betrifft.
Letzteres hielt in diesem Jahr sehr viel düstere Phasen bereit. Ein Faustschlag nach dem anderen hat mich getroffen
Die langjährigen Arthrosen müssen mit immer stärkeren Schmerzmitteln bekämpft werden, weil ich innerhalb der Familie mehr Einsatz zeigen muss als mein Körper es zulässt. 
Mit den "lieben Mitmenschen" gab es an vielen Fronten viel Ärger, weil es offensichtlich Leute gibt, die zuviel Zeit haben und diese dazu nutzen, um sich Gemeinheiten auszudenken. Es kostet meine Zeit, meine Nerven und mein Geld, um Dinge zurecht zu rücken. Ein Gutes hat die Sache: Ich habe gelernt zu kämpfen.
Für mich selber, für persönliche Interessen, für Muße, für erforderliche Arztbesuche, für manche Kontakte blieb keine Zeit.

Jetzt aber komme ich lieber zu dem anderen Bereich, zu meiner autistischen Enkelin. 
Die hat sich prächtig entwickelt. Sie macht uns täglich so viel Freude. Für sie lohnt sich jeder persönliche Einsatz, egal unter welchen eigenen Entbehrungen.Seit die Kleine mehr versteht, ist es viel leichter geworden, ihr manche notwendigen Handlungen verbal klar zu machen, so dass es keine "Kämpfe" mehr gibt, Das Waschen und Anziehen ist zwar jetzt auf andere Weise mehr als gewöhnungsbedürftig, aber wir haben uns arrangiert und das Kind hat einen Riesenspaß. Die Erzieherinnen im heilpädagigischen Kindergarten auch, wenn die Süße mal wieder 10 Kleider übereinander angezogen hat oder wieder barfuß in den Stiefeln steckt. Hauptsache, sie kommt nicht nur in Windeln. Zuhause läuft sie meist nur in Windeln herum und fühlt sich wohl. Das ist das Wichtigste. Mittlerweile lässt sie sich auf gutes Zureden die Fingernägel säubern und schneiden. Nur an die Fußnägel darf niemand heran, obwohl ihr schon ein großer Zehnagel abgefallen ist und alle Nägel dringend der Pflege bedürften. Sie müsste sediert werden, wenn ein Arzt sich der Nägel annehmen würde. Wir werden es in Angriff nehmen müssen.
Wunderbar ist es, dass meine Enkelin von sich aus immer mehr Nähe bei uns sucht. Sie kommt sehr viel kuscheln und schläft manches Mal auf dem Schoß ein.
Ja - das Schlafen ist und bleibt hier Ausnahmezustand.
Wenn das Kind müde ist, schläft sie von einer Sekunde auf die andere ein, egal, wo sie geht, steht, sitzt oder liegt. Dann fällt sie sofort in einen solchen Tiefschlaf, dass es unmöglich ist, sie wieder aufzuwecken. Also lassen wir sie schlafen, nachdem wir sie gemütlicher gebettet haben. Doch das bedeutet für mich, dass ich in der Nacht mindestens 2-3mal aufstehen, über den kalten Hof ins Haupthaus eilen muss, um meine Enkelin zu versorgen. Sie spielt nachts stundenlang in ihrem Zimmer. Aber mehrfach ruft sie, weil sie vollständig nass ist. Obwohl sie nachts mehrere Windeln übereinander anzieht, sind sie alle durch. Dann heißt es umziehen, leicht warm abwaschen, neu wickeln neu anziehen, schmusen - da ist schnell eine halbe Stunde herum. Und das 2-3mal zwischen 23h und 4h. Das geht an die Substanz. Viele werden sich fragen, warum ich das mache statt der Mama? Sie ist endlich in der Behandlung eines Schlafmediziners und weiterer Therapeuten, weil das hohe Schlafdefizit mehrerer Jahre ihr schwer zugesetzt haben. 
Viele Autisten brauchen wenig Schlaf, andere holen sich den Schlaf, wenn sie ihn brauchen. Wir müssen uns damit arrangieren.
Aber dieses kleine Mädchen entschädigt für alles. Ihr herziges Wesen, ihre Persönlichkeit, ihr fröhliches Lachen, ihr Trällern, ihre witzigen Ideen, Ihre Eigenheimer, ihre Rituale, die wir mit sehr viel Gelassenheit ertragen und mitmachen - alles das wiegt die Belastungen um ein Vielfaches auf. Sie ist das Beste, was uns geschenkt wurde.           
   

Kommunikation mit Autisten gelingt besser als mit neurotypischen Menschen

Liebe Leser,
in den letzten Tagen musste ich feststellen, dass es leichter ist, mit Autisten zu kommunizieren als mit neurotypischen Menschen. Autisten sind direkt und geradeaus, schmieden keine verbalen Intrigen, betreiben keinen Rufmord und lassen die Finger weg vom Mobbing im Internet.
Autisten sagen ihrem gegenüber unverblümt die manchmal nicht sehr schmeichelhafte Wahrheit direkt ins Gesicht; dafür jedoch bekommt man die Gewissheit, dass dies ihre ehrliche und eigene Meinung ist. Sie sind keine Mitläufer, die sich der Meinung eines Rädelsführers kritiklos anschließen und draufschlagen, wenn ihnen von diesem glaubhaft gemacht wird, ein geeignetes Opfer gefunden zu haben.
Ich wünsche noch einen schönen Abend!
Ilse Gretenkord

Samstag, 27. Dezember 2014

Autisten und ihre Art der Empathie

Liebe Leser,
noch in der Nacht habe ich mit einem erwachsenen Kanner-Autisten telefoniert, um mit ihm über "Empathie" zu sprechen. Dieser Autist ist in der Lage, sehr gut seine (autistische)Sichtweise neurotypischen Menschen zu erklären. Durch ihn habe ich mehr über Autismus, ihre Welt, ihr Denken und Fühlen gelernt als durch sämtliche wissenschaftlichen Schriften und Bücher, die von neurotypischen Verfassern geschrieben wurden.
Er sprach lange und differenziert.
Zunächst einmal unterschied er zwischen kognitiver und emotionaler Empathie.
So gut wie nicht vorhandene kognitive Empathie, also das Nicht-Erkennen und Nicht-Verstehen von Gefühlen anderer (Theory of Mind) ist ein wesentliches Kriterium zur Charakteristik der Autismus-Spektrum-Störung. Autisten ist es nicht möglich, die Perspektive zu wechseln und sich in einen anderen hinein zu versetzen.
Emotionale Empathie, also die Reaktion auf Gefühle anderer ist Autisten möglich; allerdings, so stimmt er mit vielen Autisten überein, müsse er das Gefühl selber kennen gelernt oder eine Situation selber bereits einmal erlebt haben.   
Er schlug mir vor, die Blogs "innerwelt" und den von Gerhard Gaudard vorzuschlagen, was dort die Autistin bzw. der Autist selber über Empathie sagen.
Weiterhin erzählte mein Bekannter mir von einer Freundin, die gerne die emotionale Empathie von Autisten mit der Empathie von Katzen vergleicht: Sie holen sich Schmuse- und Streicheleinheiten ab, wenn sie sie brauchen. Ansonsten ziehen sie sich zurück. Diesen Vergleich möchte ich kommentarlos stehenlassen, obwohl er momentan sehr gut auf das Verhalten meiner Enkelin zutrifft.
Grundsätzlich würde ich mehr der Aussage einer Pferde- und Hundenärrin zustimmen, die mir oft von ihren Tieren erzählt. "Mein Pferd ist autistisch. Das Tier braucht eine feste Routine und ist höchst sensibel, schreckt bei Bewegungen und lauten Geräuschen auf und scheut vor fremden Berührungen zurück. Aber meinen autistischen Sohn lässt er in jeder Hinsicht gewähren. Und wenn ich mal schlecht drauf bin, legt er seinen Kopf auf meine Schulter, schnaubt ganz leise, beknabbert mich ganz vorsichtig und stuppst mich so lange an, bis ich lächle und ihn dankbar lobend klopfe."
"Meinen Bobby (eine Promenadenmischung) leihe ich manchmal ein ganzes Wochenende meiner Freundin aus. Danach strahlt sie wieder und versichert mir: <Bobby hat sofort gemerkt, wo bei mir der Schuh drückte und mich vom Schreibtisch weggelockt, obwohl er wahnsinnig gerne stundenlang faul auf meinem Fell vor dem Kamin liegt. Ohne ihn wäre der Schreibtisch zwar jetzt leer, aber ich ginge heute mürrisch, müde und überarbeitet in die neue Arbeitswoche. So habe ich super viel Spaß und Bewegung an der frischen Luft gehabt, bin netten Leuten begegnet und fühle mich wie neu.>".
Nach Auffassung der Pferde- und Hundenärrin scheinen besonders diese Tierarten menschliche Gefühle zu spüren und darauf adäquat zu reagieren. Das ist auch der Grund, dass bei tiergestützter Therapie für Autisten Pferde, Hunde (und auch Delphine) zum Einsatz kommen, um an dem Defizit der unterentwickelten sozialen Kompetenz zu arbeiten.
Wie dem auch sei:
Ich komme zurück zu autistischen Menschen mit ihrer individuellen, eigenen Auffassung ihrer Selbst und ihrer Umwelt.
Empathie im Zusammenhang mit Autismus hängt sehr von der Definition ab. Im Sinne der kognitiven fehlt sie in hohem Maße, im Sinne der emotionalen liegt sie - aus meiner Sicht - auf einer anderen Ebene der Wahrnehmung. In dem Wort "anders" liegt keinerlei Wertung. 




                  

Donnerstag, 25. Dezember 2014

Mein autistischer Engel - Eine Liebeserklärung


Du, meine kleine Enkelin, gehst schon im nächsten Jahr in die Schule.
Wie die Zeit vergeht.
Von deinem ersten Tag an habe ich dich zusammen mit deiner Mama auf deinem Lebensweg begleitet. Sogar bei deiner Kaiserschnittgeburt durfte ich dabei sein.
Ich habe als erste, als du 20 Monate alt warst, das schreckliche Wort „AUTISMUS“ ausgesprochen.
Tiefe Betroffenheit, Entsetzen, Trauer, Verzweiflung - waren meine ersten Reaktionen auf diese Erkenntnis, die sich in den Monaten danach durch Diagnostik bestätigte.
Kopfschüttelnd haben deine Mama und ich dann durch die „Autismus-Brille“ Rückblick gehalten und uns gefragt, warum wir nicht früher etwas gemerkt hatten – obwohl uns die Experten lobten, so früh gekommen zu sein.
Der Blick in die Zukunft war düster und die Gegenwart anstrengend und von Hilflosigkeit geprägt.
Diese Zeit – bis zu einem Alter von 4,5 Jahren - habe ich in meinem Buch „Fanti, das kleine Schlitzohr“ http://www.tiponi-verlag.de/leseprobe-ilse-gretenkord/ verarbeitet.
Durch die ganze Liebe und Aufmerksamkeit, die wir – ihre Mama, ich als Oma und auch ihr Opa, der damals leider noch nicht oft anwesend sein konnte – dem kleinen Schatz entgegengebracht haben, hat „Fanti“ sich wunderbar entwickelt.
Sie ist mein Engel; jedes Mal, wenn sie strahlend auf mich zukommt, geht mir das Herz auf, vergesse ich meine sonstigen Sorgen, sehe ich meinen tiefen Sinn des dritten Lebensabschnittes.
Ich liebe alles an ihr: ihre Fröhlichkeit, ihre Umarmungen, ihre holprigen Versuche, einzelne Wörter zu lernen, ihren Willen, den sie zu artikulieren versteht, ihre Ideen, ihre Möglichkeiten und Grenzen, jeden einzelnen, noch so winzigen Fortschritt, ihre fortschreitende Entdeckung der Welt, ihr Singen und Tanzen, ihr Klettern und ihre Kräfte, ihren Ehrgeiz, ihre Rituale, die ihr Sicherheit geben – einfach alles, was dieses besondere Kind ausmacht.  
Es fällt mir inzwischen leicht, mich auf ihre individuellen Bedürfnisse einzulassen, damit sie sich dieses goldige Geschöpf in der ihr fremden Welt immer besser zurecht finden kann, ohne dabei aus dem Auge zu verlieren, dass das Kind ein Mindestmaß an gesellschaftlichen Normen lernen muss, um außerhalb ihres geschützten Bereiches nicht ausgestoßen zu werden.
Viele dieser Gedanken schreibe ich nun in meinem Blog http://kanner-autismus.blogspot.de/ nieder. Ich möchte – trotz aller speziellen Anforderungen, die das Leben mit autistischen Kindern an die Angehörigen stellen – stets meiner besonders innigen Liebe zu meiner besonderen Enkelin Ausdruck verleihen. Es ist wunderbar, dass es sie gibt und dass sie so ist, wie sie ist. 


Mittwoch, 24. Dezember 2014

AUTISMUS WEIHNACHTEN

Ausgrenzung: erfahren leider viele Familien, die ein autistisches Kind haben
Umarmung: mögen viele Autisten gar nicht, manche aber doch, und das sehr viel
Trauma: Für die Eltern wenn ihr Kind die Diagnose "Autist" bekommt.
Insel: Es gibt Autisten mit Inselbegabungen
Schlafprobleme: Sehr viele autistische Kinder haben große Schlafprobleme.
Mut: Es erfordert Mut, sich mit einem autistischen Kind überall zu zeigen.
Ursachen: Eindeutige Ursachen stehen (noch) nicht fest.
Solidarität: Zusammenhalt Betroffener macht stark 


Wahrnehmungsstörung: Ein grundlegendes Merkmal von Autismus
Engel: Autistische Kinder sind kleine "Engel"
Inklusion: ein umstrittener Begriff
Hitze: Kalt-warm-Wahrnehmung ist oft nur schwach oder gar nicht vorhanden
Nähe: Es gibt Autisten, die menschliche Nähe selber suchen.
Arbeit: In der Regel können sie eine betreute Arbeit übernehmen.
Chic: Unser kleines autistisches Mädchen macht sich "chic".
Hilfsbedürftigkeit: Die meisten Autisten benötigen Lebenshilfe.
Toleranz: wird leider oft von Mitmenschen verweigert
Empathie: ist etwas, was Autisten fehlt
Normabweichung: Autisten sind anders


In diesem Sinne: Frohe Weihnachten für alle Autisten, für alle, die mit Autisten zusammenleben und für alle, die autistische Menschen so nehmen, wie sie sind.
Ilse Gretenkord

Samstag, 20. Dezember 2014

Ein autistisches Kind rettet die Ehe der Großeltern

Liebe Leser,
Sie werden sich über den Titel wundern.
Viel öfter kommt es vor, dass die Belastung durch ein autistisches Kind Ehen zerstört; die Ehen der Eltern, die den schweren Störungen des Familienlebens durch die schwierigen Verhaltensweisen des Kindes nicht mehr gewachsen sind. Ein Partner wirft dann die Brocken und lässt den anderen mit dem besonderen Kind allein. Dies jedoch ist heute nicht mein Thema.
Es geht um einen wunderbaren Lernerfolg, den ich als Oma durch meine autistische Enkelin durchlaufen konnte und der meine eigene Ehe gerettet hat. Dieses Kind hat mich gelehrt, Menschen so zu nehmen, wie sie sind und ihre Sonderheiten zu tolerieren, wenn Zusammenleben funktionieren soll. Ich kann mich inzwischen mühelos auf die sonderbaren Eigenarten der Kleinen einlassen und ihr diese gewähren, auch wenn sie von meinen eigenen Vorstellungen eines fünfjährigen Kindes weit entfernt sind. Bei einem erwachsenen Partner fällt die Rücksicht auf völlig andersartige Denk- und Lebensgewohnheiten erheblich schwerer, was dazu geführt hat, dass meine Ehe schon lange nur noch auf dem Papier bestand. Seit Jahren leben mein Mann und ich in demselben Haus in getrennten Wohnungen, um Streit zu vermeiden, weil die Lebenskonzepte so gar nicht zueinander passen. Dadurch aber, dass wir zusammen sehr oft auf unsere Enkelin aufpassen, sitzen wir seit Monaten viele Stunden zusammen und führen lange Gespräche. Tag für Tag wächst meine Erkenntnis, dass viele Ratschläge und Denkweisen meines Mannes, die ich früher vehement zurückgewiesen habe, mir auf sinnvolle Weise Sachverhalte aus einer anderen Perspektive beleuchten, die oft zu einer viel besseren Lösung eines Problems führt. Erst jetzt merke ich, wie verbohrt ich war und dass ich schwerlich andere Meinungen - innerhalb der eigenen Familie - akzeptieren konnte. (Außer bei Fremden - da trumpfe ich selten auf und lasse mir die Vorstellungen des Gegenübers aufdrängen.)
Jetzt hat sich das Blatt gewendet - und das verdanke ich allein meiner autistischen Enkelin, die mir absolutes Umdenken abverlangt. Ich werde von Tag zu Tag toleranter gegenüber meinen Nächsten (meinem Mann), um zu Hause Halt zu finden und den Partner Wert zu schätzen. Dafür und dadurch bekomme ich die nötige Kraft, meine Vorstellungen vor Fremden zu vertreten.
Mir ist von meiner Enkelin, die den Sinn von Schenken selber nicht versteht, ein großes Geschenk gemacht worden. - Und das nicht nur zu Weihnachten.




Ich wünsche allen Lesern ein Weihnachtsfest mit Geschenken, die nicht aus dem Kaufhaus sondern von Herzen kommen.
Ilse Gretenkord

Das "Christfest" - oder das "Fest der Geschenke?" naht

Liebe Leser,
jeder möge selber über den Titel nachdenken.
Diejenigen, die autistische Kinder haben, die "Weihnachten" wahrnehmen, werden das Fest auf die Weise feiern, die für das Kind so wunderbar wie möglich werden wird.
Meine Enkelin nimmt "Weihnachten" nicht wahr. Das macht uns einerseits traurig.
Andererseits ist sie für meine Tochter und mich und natürlich auch für den Opa DAS GESCHENK, das von keinem weltlichen übertroffen werden könnte. Wer darf schon täglich mit einem kleinen Engel - mit einem winzigen "B" davor - zusammen leben?


In diesem Sinn wünsche ich einen ruhigen 3. Advent.
Ilse Gretenkord

Freitag, 12. Dezember 2014

Erstaunliches Zeitgefühl

Liebe Leser,
die meisten Erwachsenen kommen ohne Uhr nicht aus. Wir haben das natürliche Zeitgefühl verloren, zumal ein Termin den anderen jagt. Kinder sind viel unbefangener und können über das Spielen die Zeit völlig vergessen. Und das ist auch gut so. Sie werden noch früh genug in die Tretmühle unserer schnelllebigen Tagesabläufe hinein gezogen und verlieren die Fähigkeit zum Treibenlassen, Relaxen und Chillen (was vorwiegend jüngere Leute sich mittlerweile oft als Auszeit wählen).
Umso mehr wundern wir uns über meine knapp sechsjährige Enkelin. Noch mit nicht drei Jahren hatte sie ein verblüffendes Zeitgefühl. Immer noch kennt sie keine Uhrzeiten und keine Wochentage - doch schon damals lief sie gegen Ende einer der zahlreichen Therapiestunden zu ihren Schuhen oder zu ihrer Jacke, um damit zu zeigen, dass jetzt Schluss sei. Auch stets dann, wenn die Therapeuten weder durch die Aufforderung zum Aufräumen oder durch einen sonstigen Hinweis durchblicken ließen, dass die Zeit um war.
Dabei haben die Therapiestunden unterschiedliche Länge von 30 Minuten, 45 Minuten und 60 Minuten.
Auch im Kindergarten zeigt sich nun dasselbe Phänomen. Momentan bleibt meine Enkelin nur donnerstags über Mittag dort. In der vergangenen Woche jedoch ergab sich eine Änderung und Mama holte sie am Donnerstag schon früh ab. Die Kleine wollte jedoch nicht gehen, weil sie im Gefühl hatte, dass dies doch der lange Tag sei. Als Mama dann am Folgetag nicht rechtzeitig kam, weil dieser ersatzweise verlängert werden sollte, kullerten die Tränen. Dabei wissen wir genau, dass dieses Kind noch in keiner Weise die Wochentage kennt.
Das sind nicht die einzigen Bereiche, in denen meine Enkelin einen "7. Sinn" zeigt. Sie ahnt Vieles voraus, handelt in manchen Situationen so, als wisse sie bereits, was komme.
Autisten haben eine andere Wahrnehmung, die ihnen das Leben in unserer Welt vielfach erschwert, die ihnen jedoch auch Möglichkeiten eröffnet, die uns neurotypischen Menschen verschlossen bleiben. Das lässt uns immer wieder dankbar staunen.
Ich wünsche allen ein 3. Adventswochenende ohne Zeitdruck.
Ilse Gretenkord

Samstag, 6. Dezember 2014

Warum brennt heute die 2. Kerze am Adventskranz?

Liebe Leser,
wie schön ist die Vorweihnachtszeit für ein fünfjähriges Kind. Die Vorfreude auf Weihnachten, das Kommen des Nikolauses, das Bummeln über den Weihnachtsmarkt, wo oftmals viele Weihnachtsmänner die Kinder beschenken und Weihnachtslieder ertönen. Das Warten auf das Christkind, das die Geschenke bringt, das Erzählen der Weihnachtsgeschichte, das Entzünden der Kerzen am Adventskranz, das Öffnen der Türchen am Adventskalenders, das geschmückte Zuhause, die geschmückten Geschäfte und Straßen - alles das macht auch schon die Kleinen auf eine besondere Zeit aufmerksam.
Es macht meine Tochter als Mama und mich als Oma doch traurig, wenn unser kleines Mädchen, das im nächsten Jahr schon in die Schule kommt, von all dem nichts mit bekommt. Die Kleine nimmt zwar inzwischen schon sehr viel wahr, ist aber noch so in ihrer autistischen Welt gefangen, dass sie - wie ich gestern schon schrieb - selbst den Nikolaus im Kindergarten ignoriert hat. Sie liebt Kerzen, würde es aber niemals akzeptieren, dass man an einem Adventskranz zunächst nur eine Kerze tagelang anzünden dürfte, danach nur zwei ...
Warten auf einen besonderen Tag, Geschenke als die ihren zu erkennen - das kann sie nicht einordnen. Melodien von Weihnachtsliedern kann sie nachsummen, wenn sie im Fernseher gesungen werden. Dann jedoch trällert sie diese auch im Sommer.
Meine Enkelin bleibt in ihrer Welt, ihre Tage bleiben relativ gleich. Aber das Schöne ist, dass wir den Eindruck haben, dass jeder Tag für dieses Kind ein schöner Tag ist. Denn die Kleine ist immer fröhlich, lacht und freut sich über winzige Kleinigkeiten, sieht einen Packen neuer Socken wohl als großes Geschenk an, egal, an welchem Tag sie diese bekommt.
Und mal ehrlich: Ist das letztendlich nicht für uns ein riesiges Geschenk? Ein immer frohes Kind, das nicht nur glücklich scheint an besonderen Tagen, an denen Besonderes geschieht und große Überraschungen und Geschenke anstehen wie am Geburtstag und zu Weihnachten?
Wir freuen uns jeden Tag mit ihr.
In diesem Sinne einen schönen 2. Advent.
Ilse Gretenkord

Freitag, 5. Dezember 2014

Meine Enkelin und der Nikolaus

Liebe Leser,
gestern hat im Kindergarten der Nikolaus eine einmalige Erfahrung gemacht.
Alle Kinder waren sehr aufgeregt und freuten sich riesig, als sie einen großen gefüllten Nikolausstrumpf bekamen, den die Erzieherinnen zuvor mit Leckereien gefüllt hatten.
Meine autistische, fünfjährige Enkelin nahm keine Notiz von dem verkleideten Mann. Als dieser ihr dann noch den Strumpf in die Hand gab, sah sie darin keinen Sinn und hatte keinerlei Interesse. Sie gab dem Nikolaus den Strumpf zurück.
Der staunte nicht schlecht, die Erzieherinnen mussten krampfhaft das Lachen unterdrücken und den anderen Kindern blieb der Mund offen stehen. Nach einigen Überredungskünsten der Erzieherinnen war unsere Kleine dann doch bereit, den Strumpf anzunehmen und sogar ein Foto zusammen mit dem Nikolaus machen zu lassen.
Doch der Inhalt des Strumpfes fand keinen Gefallen. Während alle anderen Kinder sich am liebsten sofort über die schokoladigen Teile hergemacht hätten, schaute meine Enkelin nicht einmal hinein. Sie hasst Schokolade und Süßigkeiten, isst weder Obst noch Nüsse und kann somit mit dem Inhalt des liebevoll gefüllten Nikolausstrumpfes nichts anfangen.
Autisten sind eben anders.
Ich wünsche allen Lesern heute einen schönen Nikolaustag.
Ilse Gretenkord

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Die andersartige Wahrnehmung von Autisten

Liebe Leser,
warum lässt sich meine Enkelin die Fingernägel säubern und schneiden - aber den Fußnägeln darf sich niemand nähern? Diese sind schon so scheußlich gewachsen und immer schwarz, weil sie unter lautem Protest und heftiger Abwehr die Zehen nicht berühren lässt.
Warum kann sie nichts auf dem Kopf ertragen - keine Mütze, selbst wenn es noch so kalt ist?
Warum empfindet sie Kälte nicht wirklich? Sie läuft - wenn wir sie nicht mit "Gewalt" hindern, barfuß und in Windeln bei Eiseskälte durch den Garten.
Warum empfindet sie Hitze nicht wirklich? Sie zieht sich in heißen Sommernächten zum Schlafen an, als müsse sie in einem Iglu übernachten.
Warum hört sie in manchen Situationen "das Gras wachsen" - und oft reagiert sie nicht, selbst wenn enormer Lärm sie umgibt?


Wir möchten manchmal in die Köpfe von Autisten hineinschauen können, um sie besser zu verstehen. Vielfach klappt die Kommunikation mit ihnen nicht, weil wir im wahrsten Sinne des Wortes "aneinander vorbei" denken, fühlen, reden, agieren....
Das macht es Eltern oft so schwer, ihren autistischen Kindern gerecht zu werden, weil sie deren Bedürfnisse gar nicht verstehen. Aber auch das Erziehen wird zu einer Gratwanderung. Wenn Eltern eine Regel bei ihrem Kind durchsetzen und dieses sich mit allen Kräften dagegen wehrt, so wissen sie nicht, ob das nur Trotz ist, weil es seinen Willen nicht bekommt, oder ob das Verbot das ganze "autistische Weltbild" aus den Angeln hebt. In diesem Fall richtet es viel Schaden im ohnehin ungefestigten Vertrauen in die dem Kind fremde Welt an.
Die Unsicherheit bleibt: Doch je mehr Eltern versuchen, sich behutsam in ihr Kind hinein zu fühlen, es immer genau beobachten und viel Vertrauen aufbauen, desto besser werden sie sich an die Welt ihres Kindes heran tasten, auch wenn sie immer außen vor bleiben werden.
Ich wünsche einen wohligen Wintertag.
Ilse Gretenkord

Montag, 1. Dezember 2014

Private Förderschule für geistige Entwicklung

Liebe Leser,
im kommenden Jahr fängt für meine Enkelin "der Ernst des Lebens" an. Sie muss in die Schule. Als frühkindliche Autistin kommt für uns nur eine Förderschule in Frage, weil Inklusion in einer Regelschule für das Kind und die Mitschüler eine Zumutung darstellen würde. Darüber habe ich bereits in einem früheren Blogbeitrag meine Meinung geäußert.
Andererseits gibt es zwei Argumente, die auch gegen diese Art der Förderschule angeführt werden könnten.
Zum einen wurde in der vergangenen Zeit deutlich (vor allen Dingen seit dem erst kürzlich erfolgten Eintritt in den Kiga), dass die Kleine sich stark zu "normalen" Kindern hingezogen fühlt, diesen Vieles abschaut und von ihnen Erstaunliches lernt.
Desweiteren bestätigt jede Person (Therapeuten, Fremde, Verwandte, Bekannte), die meine Enkelin kennen lernt, bereits nach kurzer Zeit, dass dies ein (sehr) intelligentes Mädchen sei.
Ein intelligentes Kind auf eine Schule für geistige Entwicklung schicken? Ist das richtig? Ein Kind, das mittels ihres Ipads autodidaktisch das Alphabets beherrscht und die zu den Anfangsbuchstaben gesprochenen Wörter nach und nach selber spricht? Ein Kind, das fasziniert ist von Zahlen und diese rauf- und runterzählt im Zahlenraum bis 20? Ein Kind, das Handlungsabläufe im Haushalt (Waschmaschine einstellen, Kaffeemaschine bedienen, Wäsche falten u. v. m.) nur einmal zu sehen braucht, um es selber machen zu können?
Auf der anderen Seite hat die Kleine sehr viele Defizite aufgrund Ihrer "Behinderung". Noch spricht sie so gut wie gar nicht, braucht ihre Rituale, reagiert oft nicht auf Ansprache, lässt sich in der Regel aktiv nichts zeigen und erklären, kennt keine Gefahren, lebt in ihrer Welt, die sie sich einrichtet und nach außen so weit kommuniziert, dass die Erwachsenen meist erkennen können, was sie braucht. Der Umgang mit meiner Enkelin wird dann höchst problematisch, wenn der Erwachsene die Gradwanderung zwischen dem, was sie will oder braucht, und dem, was sie darf, nicht schafft. Dann wird es sehr laut, dann schreit sie sich die Kehle aus dem Hals, dann wehrt sie sich mit Leibeskräften, wirft Gegenstände durch die Gegend, knallt Türen, haut sich selber, hält sich die Ohren zu, In der Öffentlichkeit schmeißt sie sich auf den Boden, so dass niemand mehr in der Lage ist, sie von der Stelle zu befördern. Oder selbst zwei starke Erwachsene vermögen es nicht, das Kind, das sich steif macht wie ein Brett, in den Autositz zu bekommen. Sie hat auch eine starke Weglauftendenz, wenn sie ein anderes Ziel im Auge hat als die Begleiter. Festhalten ist für dieses Kind das Schlimmste, was man ihm und sich selber antun kann. Da haben selbst drei Erwachsene kaum eine Chance gegen sie.
Ein Kind, das diese Gefühle nicht steuern kann, weil Vieles nicht seine Welt passt, weil viele Eindrücke es überfordern, weil Umwelt und Erfahrungen von ihm auf andere Weise wahrgenommen werden als durch das Umfeld: Deshalb hat meine Enkelin auf einer Regelschule nichts zu suchen. Wir sind jedoch überzeugt, dass die von uns gewählte Schule jedes Kind individuell fordert und fördert. Also wird dort auch ein intelligentes Kind nicht zu kurz kommen und nach seinen Fähigkeiten lernen dürfen.
Viele Grüße!
Ilse Gretenkord