Autismusshirt

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Samstag, 26. Dezember 2015

Wieder einmal WEIHNACHTEN


Es war ein schönes Fest für Mama, Oma, Opa und die nun 6-jährige Helena Marie, die frühkindliche Autistin ist. Denn obwohl hier statt der Krippe vorwiegend Figuren aus der Peppa-Pig-Reihe zu sehen sind und die Kleine immer noch gar nichts von Sinn des Festes und dem Anlass des Schenkens verstanden hat – sie hat sich riesig gefreut. Große Freude beim Auspacken der Geschenke selber und eine riesige Begeisterung über ihre geliebten Peppa-Pig-Freunde.
Wir Großen staunen täglich darüber, wie sehr unser kleiner Schatz Freudensprünge veranstaltet, wenn diese niedlichen Schweinefiguren und deren Freunde – und seien es auch nur kleine Sticker davon – irgendwo auftauchen. Die Namen kennt sie alle, obwohl ihr Wortschatz noch immer sehr eingeschränkt ist. Außerdem weiß sie ihre Lieblinge bereits verbal sehr gut zu verteidigen durch: „Das ist meins“.
Sie liegen im Bett, sie nehmen einen eigenen Stuhl ein beim Weihnachtsessen – und sie sitzen „brav“ in ihren Schulbänken, wenn die Lehrerin „Madame Gazelle“ das ABC und erste Zahlen an der Schultafel lehrt.
Denn Schule – besonders das ABC – ist für unsere Erstklässlerin extrem wichtig. Helena Marie besucht wegen ihres frühkindlichen Autismus eine Förderschule, wo sie sich sehr wohl fühlt und prima zurecht kommt. Doch mit dem ABC und dem Schreiben geht es ihr etwas zu langsam, weshalb sie unzählige englische spielerische Filmchen schaut, die das (englische) Alphabet mit viel Musik und Liedchen lehren. Das kommt unserem sehr musikalischen Schatz sehr nahe, so dass sie oft stundenlang das englische ABC trällert.
Ups – jetzt bin ich ganz von Weihnachten abgewichen.
Doch bei Autisten ist es nun mal so: Sie lernen oft autodidaktisch; und was sie interessiert, das lernen sie schnell und intensiv. Was nicht an sich heran lassen wollen – wie bei unserer Kleinen die Weihnachtsgeschichte: Das bleibt außen vor. Aber wir geben die Hoffnung nicht auf, dass sie ständig mehr versteht und irgendwann auch begreift, was WEIHNACHTEN eigentlich bedeutet.
Trotzdem: Wir hatten mit unserem „autistischem Engelchen“ frohe Weihnachten.       

Sonntag, 13. Dezember 2015

Wunderbare Kopfarbeit

Meine sechsjährige Enkelin mit frühkindlichem Autismus wurde durch einen nicht-sprachlichen Intelligenztest, den viele aus gewichtigen Gründen gerade für Autisten für ungeeignet halten, als geistig behindert eingestuft.
Ihr Sprachvermögen ist eingeschränkt, obwohl sie in letzter Zeit große Fortschritte macht.
Aufgrund ihrer nicht zu stillenden Lust, sich am Laptop stundenlang kleine, nette und Musik untermalte Filmchen über das ABC, über Zahlen, über Farben und geometrische Formen anzuschauen, hat sie dadurch auch viel gelernt.
Das Besondere aber ist: Sie bevorzugt die Filmchen in englischer Sprache. Sprachwissenschaftler haben heraus gefunden, dass Kinder gewisse Sprachen wegen ihres Klanges bevorzugen; dazu gehört auch das Englische.
So ist es gekommen, dass unsere Kleine inzwischen das ABC sehr gut in englisch aufsagen kann, Zahlen bis 20 zügig in englisch aufzählt, alle Farben in englisch kennt, ebenso die geometrischen Formen. Natürlich kennt sie nebenbei die entsprechenden deutschen Begriffe.
Jetzt aber kommen die eigenen Denkleistungen.
Entweder benennt sie selber – meist mitten in der Nacht, die immer sehr früh bei ihr zu Ende ist – gleichzeitig die deutschen und englischen Begriffe für alle Farben oder für alle Buchstaben oder alle Zahlen. Sie ist dann wie ein wandelndes Vokabelheft. Niemand ist dann in der Lage, sie dabei zu stoppen. Sie ist dann auch auf nichts anderes ansprechbar.
Noch bemerkenswerter ist es jedoch, wenn sie noch mehr Hirnakrobatik betreibt.
Heute morgen um 03.30h hat unser kleiner autistischer Engel folgende Leistung vollbracht:
Abwechselnd benannte sie (in englisch) jeden Buchstaben des ABCs und dazwischen (ebenfalls in englisch) eine Farbe, bis das ganze Alphabet durch war. Danach kam Gleiches noch mit den englischen Zahlen von 1 – 20. Besonders bemerkenswert war dabei, dass sie immer genau wusste, welchen Buchstaben oder welche Zahl sie noch vor der Farbe benannt hatte; nichts hat sie ausgelassen oder vergessen. Doch man konnte ihr richtig ansehen, wie sehr sie sich dabei anstrengte. Als sie an einer Stelle stockte und ich ihr helfen wollte, hielt sie sich wütend die Ohren zu, weil sie unbedingt die ganze Leistung allein erbringen wollte.
Ich war so beeindruckt, dass ich gar nicht wusste, wie sehr ich unseren kleinen Schatz dafür loben sollte. Doch ich denke, sie war selber so stolz darüber, was sie geschafft hatte, dass sie sich zwar über mein Lob freute, mehr aber noch über ihr eigenes Können.
Helena Marie tut noch lange nicht, was man ihr sagt; aber das, was sie aus eigener Motivation möchte – nämlich Vieles selber und allein lernen – davon lässt sie sich durch nichts und niemanden abbringen.   


Dienstag, 24. November 2015

Richtige Freude bei Autisten

Liebe Leser! 
Meine sechsjährige Enkelin mit frühkindlichem Autismus verwundert uns immer wieder. Bisher dachten wir, dass ein solches Kind gar nicht in der Lage ist, für etwas zu schwärmen, von etwas Fan zu sein, zumal es unserer Kleinen sehr stark an sprachlicher Ausdrucksmöglichkeit fehlt.
Doch Helena Marie liebt Peppa Pig und alle Figuren, die zu dieser englischen Serie gehören. Sie schaut alle Filmchen – egal ob auf deutsch oder englisch – leidenschaftlich gern, kennt alle Namen der Beteiligten und nimmt die kleine Peppa-Pig-Figur stets mit ins Bett. Mittlerweile versucht ihre Mama, ihr eine Reihe an Bekleidungsstücken mit Peppa-Pig-Motiven zu besorgen. Sobald die Kleine eines bekommt, freut sie sich so, dass sie nichts mehr anderes anziehen möchte. Sofort wird es anprobiert, dann vor dem Spiegel betrachtet und sie tanzt darin herum und strahlt über das ganze Gesicht.
Der Knaller aber kam gestern; Mama hatte schon mal für die nahende Adventszeit einen ganz besonderen Adventskalender durch die Küche gespannt. An einer Wäscheleine hängen 24 unifarbene Tüten, die jeweils eine Kleinigkeit enthalten. Auf den Tüten jedoch kleben unterschiedliche Peppa-Pig-Sticker. Als Helena aus der Förderschule kam, war ihre Reaktion überwältigend. Ohne ihren Peppa-Pig-Anorak auszuziehen und ihre Peppa-Pig-Mütze abzusetzen, sprang sie vor Freude durch die Küche, benannte nacheinander mehrfach die Namen der Figuren auf den Stickern und fing dann an, in ihrer eigenen „autistischen Sprache“ fast 10 Minuten über Peppa Pig und ihre Geschichten zu erzählen. Wir haben Tränen gelacht und konnten uns vor Freude kaum halten.
Wie kann es sein, dass sich ein autistisches Kind so freut und seine Freude auch so vielfältig ausdrücken kann?
Welche dummen Vorurteile, ein Autist habe angeblich keine Gefühle und könne sie auch nicht zeigen!!!



Samstag, 24. Oktober 2015

Du bist anders - Du bist Autist

Du siehst nicht, dass es nur eine einsame Mohnblüte am Rande einer Schutthalde ist.
Du erfreust dich an dem wunderschönen Rot der einzelnen Blüte und betrachtest sie lange.

Du siehst nicht, dass du inmitten einer wunderschönen Blumenwiese stehst.
Du siehst nur, dass die Blüte zu deinen Füßen zertreten ist – und bist traurig.

Du erkennst am Gesicht deines Gegenübers nicht, wenn es traurig ist.
Du tröstest nicht sondern lachst, wenn dir danach zumute ist.

Du bist erschlagen von den vielen vollen Regalen in einem Supermarkt.
Du möchtest doch nur Waschmittel kaufen und kannst es hier niemals finden.

Du möchtest immer nur das gleiche Waschmittel verwenden, das du an der Packung erkennst.
Du wirst es nirgends mehr finden; denn der Hersteller hat das Verpackungsdesign verändert.

Du fühlst dich sicher in deinem Zimmer. Doch deine Eltern haben darin etwas verändert.
Du hast schreckliche Angst, weil es jetzt eine andere Farbe hat und dein Bett ohne Stäbe ist.

Du hast Angst, weil Veränderung dir deine Sicherheit in dieser Welt nimmt.
Du weinst und schreist, um deiner Angst Ausdruck zu verleihen.

Du schreist aber auch, wenn es um dich herum zu laut wird. Denn Lärm tut dir weh.
Du brauchst einen ruhigen Ort; denn dein Gehirn tut sich schwer mit Schutzfiltern.

Du schreist, wenn zu viele optische Eindrücke auf dich einwirken. Das überfordert dich.
Du brauchst eine reizarme Umgebung; denn dein Gehirn tut sich schwer mit Schutzfiltern.

Du bist oft nicht zu erreichen. Dann bist du in deiner eigenen Welt.
Du reagierst dann nicht auf Ansprache, nicht auf Töne, nicht auf Berührungen.   

Du rastest manchmal aus. Du möchtest deinen Willen durchsetzen oder eine Situation meiden.
Du entwickelst übermenschliche Kräfte, verletzest dich und andere.

Du kannst nicht sagen, warum dich Dinge oder Umstände zum Ausrasten bringen.
Du brichst aus wie ein Vulkan, der erst langsam wieder zur Ruhe kommt.

Du hast unendliche Ausdauer in der Abwehr gegen Neues oder Unerwünschtes.
Du wehrst dich über Stunden und treibst deine Eltern an den Rand ihrer Kräfte.

Du brauchst Rituale für deine Sicherheit. Immer Gleiches zur gleichen Zeit am gleichen Ort.
Du forderst sie vehement ein; ein Durchbrechen durch Dritte lässt du nicht zu.

Du bist nicht dumm; dein Gehirn arbeitet nur anders. Oft lernst du autodidaktisch.
Du tust dich zuweilen schwer, dein Können auf Aufforderung Dritter zu zeigen.

Du magst vielleicht fast gar keinen Körperkontakt wegen veränderter Wahrnehmung. Oder:
Du möchtest - eventuell unangemessen viel - körperliche Nähe.

Du sprichst vielleicht nie oder lernst es nur mühsam und unvollständig.
Du sprichst deine eigene Sprache: „autistisch“.

Du sprichst sehr früh und sehr gut und sehr viel, allerdings recht monoton.
Du nimmst alles wortwörtlich, verstehst keine Ironie und keine Witze.

Du hast vielleicht eine außergewöhnlich intellektuelle Begabung, die niemand toppt.
Du kannst deinen Alltag jedoch nicht ohne Hilfe bewältigen.

Du bringst eventuell Höchstleistungen in deinem Job in einer geschützten Umgebung.
Du bist motorisch extrem ungeschickt und hast privat keine Freunde.

Du machst alles in der gleichen Reihenfolge und zu derselben Zeit.
Du brauchst diese Ordnung für deine Sicherheit in der für dich wirren Welt.

Du isst meist immer das Gleiche über einen sehr langen Zeitraum.
Du wehrst dich gegen Abwechslung und Flexibilität.

Du läufst vielfach bei Kälte/bei Wärme in viel zu dünner/dicker Kleidung herum.
Du hast eine veränderte Körperwahrnehmung.

Du spürst vielleicht Schmerz sehr schwach oder gar nicht.
Du hast eine veränderte Körperwahrnehmung.

Du findest in der Regel kaum Freunde unter den Menschen.
Du kannst wesentlich besser mit Tieren kommunizieren.

Du bist anstrengend für deine Mitmenschen.
Du bist ein wertvoller Beobachter von Details.

Du denkst anders und nimmst anders wahr.
Du bist dadurch ein wertvoller Ideengeber.

Du bist als Kind eine Herausforderung für deine Eltern.
Du bist ein „Engel“ und unendlich liebenswert.

DU BIST AUTIST.
DU BIST ANDERS.








 





Die Fragwürdigkeit von IQ-Tests bei Kindern mit frühkindlichem Autismus

Lange habe ich mich gefragt, warum frühkindlichen Autisten nachgesagt wird, sie hätten in hoher Prozentzahl einen niedrigen IQ (meist von 70 oder auch niedriger). Umso mehr freuen wir uns, dass wir bei meiner Enkelin merken, dass nicht nur uns, sondern auch Freunden und Bekannten, aber auch Fremden und Therapeuten aus allen Sparten schnell und deutlich erkennbar auffällt, wie logisch und schlussfolgernd sie denken kann, je älter sie wird.
Deshalb haben wir uns auch schwer getan, sie mit jetzt sechs Jahren in eine Förderschule für geistige Förderung zu geben, zumal sie sich selber auch schon am Ipad autodidaktisch im Vorschulalter das ganze ABC, das Zählen bis 200 und geometrische Formen beigebracht hat. Auch die noch überschaubare Zahl von Wörtern, die sie inzwischen sprechen kann, kann sie jedoch schon lesen und schreiben.
Vor drei Wochen sollte die Kleine nun zu einem Test zur Feststellung der Veränderung des Entwicklungsstandes während der letzten zwei Jahre. Der nicht-sprachliche Test ging 2x über je eine Stunde, in der Helena Marie gewisse Aufgaben zu erfüllen hatte. Ihre Mama ahnte nicht, dass es in Wirklichkeit ein Intelligenztest war, der ihrem Töchterchen vorgelegt wurde. Eine solche Durchführung ohne Information bzw. Einwilligung der Erziehungsberechtigten ist schon fragwürdig. Noch fragwürdiger ist allerdings, ob man einen solchen Test überhaupt Kindern mit frühkindlichem Autismus vorlegen kann bzw. welche Aussagekraft er bei Kindern hat, die wegen ihres Autismus über eine ganz andere Wahrnehmung verfügen und deshalb wahrscheinlich viele der vorgegebenen Aufgaben nicht lösen können, ohne dass das einen Aufschluss über mangelnde Intelligenz geben muss.
Trotzdem wird so vorgegangen: Der Test ist für eine bestimmte Altersgruppe konzipiert. Lediglich die Tatsache, dass er nicht-sprachlich ist, nimmt Rücksicht darauf, dass etliche frühkindliche Autisten nicht sprechen können – also auch keine Fragen zu beantworten sind. Wenn dann normal entwickelte (neurotypische) Kinder und Kinder mit frühkindlichem Autismus diesen Test machen, so kann den neurotypischen Kindern erklärt werden, was von ihnen erwartet wird – den autistischen jedoch nicht, wenn diesen die nötige Sprachauffassung fehlt. Dadurch sind letztere automatisch benachteiligt. Außerdem erfassen sie aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmung aus ihrem Umfeld optische Dinge ganz anders als neurotypische Gleichaltrige. Diese Andersartigkeit, die dazu führen kann, dass sie Teile des auf bildliche Darstellungen bezogenen Tests nicht lösen können, darf aber nicht zu dem Schluss führen, dass mangelnde Intelligenz vorliegt.
Kein Wunder also, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus durch einen solchen Test in der Regel nur ein IQ-Ergebnis von 70 erreichen. Der IQ meiner äußerst cleveren Enkelin lag sogar noch darunter: bei 67, also im Bereich der geistigen Behinderung.

Dieses Ergebnis hat uns gezeigt: Nicht meine Enkelin ist dumm – sondern der Test ist ungeeignet, um das intellektuelle Leistungsvermögen von Kindern mit frühkindlichem Autismus zu messen.  

Samstag, 17. Oktober 2015

Autisten und das Essen

Meine 6-jährige Enkelin mit frühkindlichem Autismus hat im Laufe der letzten Monate in Bezug aufs Essen eine enorme Entwicklung durchgemacht. Noch im Januar aß sie im heilpädagogischen Kindergarten nur ihre 12-Monats-Gläschen und ließ sich nur mit viel Mühe von den sehr bemühten Erzieherinnen dazu überreden, beim Mittagessen am Löffel zu lecken. Nach und nach jedoch bekam sie einen Klecks des Essens in ein kleines Schälchen und traute sich, daran zu probieren. Bereits Mitte März plötzlich war die Kleine bereit, wie die anderen Kinder ihre ganze Mahlzeit zu verspeisen.
Als wir sie mittwochs zwischendurch regelmäßig abholten, um mit ihr zur Musiktherapie zu fahren, konnte sie danach auf einmal nicht mehr schnell genug wieder zum Kindergarten zurück kommen, weil Zeit zum Mittagessen war. Fröhlich rannte sie in ihren Gruppenraum und setzte sich sofort an den bereits gedeckten Tisch.
Diese Erkenntnis, dass man (fast) alles essen kann, übertrug sich auch bald auf zu Hause. Sobald dort etwas gekocht wird, lugt Helena Marie neugierig in die Töpfe und kommt mit ihrem Teller an, um sofort etwas zu bekommen, wenn das Essen fertig ist. Am liebsten isst sie Fleisch und Fisch, der für sie auch Fleisch heißt. Waren Kartoffeln für sie vor wenigen Wochen noch nicht lecker, so verlangt sie jetzt danach. Ließ sie sich bisher meist nur eine Nudel auf den Teller legen, so werden sie jetzt in großen Mengen gegessen. Auch vor Kroketten, Wedges und Knödeln macht sie nicht halt. Ob mit oder ohne Soße oder Ketchup – alles ist auf einmal lecker. Nachdem es uns zu viel geworden war, dass das Kind versuchte, eine Packung Salami nach der anderen ohne Brot zu essen, sind jetzt Brötchen mit Leberwurst ihr Favorit.

Welch eine Veränderung! Dabei ist es durchaus üblich, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus merkwürdige Essgewohnheiten haben und auch sehr lange beibehalten. Bei meiner Enkelin ist durch das Mittagessen im Kindergarten der Knoten einmal geplatzt; dadurch hat sie alle alten, eingefahrenen, einseitigen Gewohnheiten beim Essen in kürzester Zeit abgelegt. Doch: Wie alles hat auch das seine Nachteile. Helena Marie war bisher gewichtsmäßig in der Norm. Jetzt hat sie so viel Freude am Essen gefunden, dass sie ständig etwas zu essen haben möchte, was manchmal nicht leicht zu verhindern ist. Daher ist sie leider etwas pummelig zu geworden, obwohl sie sich von Süßigkeiten fern hält. Denn unser Glück ist, dass Helena Marie immer noch alles strikt ablehnt, was im Entferntesten mit Schokolade zu tun hat. Ab und an greift sie bei anderen Kindern mal zu Gummibärchen und manchen Kuchen mag sie auch. Ihr ständiger Hunger (Appetit) führt dazu, dass sie mehr isst, als sie trotz ihrer vielen Bewegung verbrennen kann. Doch ist es mit ständigen, lautstarken Kämpfen verbunden, das kräftige, willensstarke Mädchen von Kühlschrank und Brotkorb fernzuhalten. Da ist guter Rat teuer. Man kann leider nicht alles vor ihr zugriffssicher verstecken oder verschließen. So groß die Freude ist, dass meine Enkelin trotz ihres frühkindlichen Autismus jetzt abwechslungsreich isst, so groß ist jetzt die Sorge, dass sie dauerhaft übergewichtig wird.      

Donnerstag, 8. Oktober 2015

Wie schön muss doch Schule sein

Montagmorgen, 1. Tag der Herbstferien. Plötzlich ertönt aus dem Kinderzimmer meiner 6-jährigen Enkelin mit frühkindlichem Autismus gegen 7.00h lautes Geschrei: „Mama, Schule, Schule, Schule, Mama, Schule, Schule!!!“
Ganz entsetzt hatte die Kleine auf der Uhr erkannt, dass es Zeit war für das Schultaxi, das sie morgens um diese Zeit nun schon seit mehr als sechs Wochen zur Förderschule abholte. Nur mit Mühe ließ sie sich an dem von mir eigens für sie erstellten Sonderkalender von Mama zeigen, dass jetzt ganz viele Tage kommen, an denen keine Schule ist. Ganz enttäuscht war sie, als es ihr nicht gelang, den Zeitschieber auf die Daten zu rücken, die wieder für Schultage stehen. Schließlich gab sie auf und stellte ihre Schultasche, die sie schon geschnappt hatte, wieder in die Ecke.
Da meine Enkelin auf Grund ihres frühkindlichen Autismus nur einzelne Wörter spricht, kann sie leider nicht verbal ausdrücken, warum sie so gerne in die Schule geht. Aber jeden einzelnen Tag freut sie sich riesig darauf, wartet schon morgens eine halbe Stunde zu früh auf das Schultaxi. Dafür sitzt sie bei jedem Wetter auf einem Stuhl hinter dem verschlossenen Gartentor und rennt bei Ankunft des Wagens zusammen mit Mama freudig darauf zu, um zu den anderen Kindern zuzusteigen. Nach Auskunft des Fahrers und der Begleiterin ist Helena Marie während Hin- und Rückfahrt durchgehend gut gelaunt, singt oder schnattert (in autistisch) unaufhörlich und macht auf ihre Art jedes Mal darauf aufmerksam, wie gefahren werden muss und wo welches Kind abzuholen oder wieder abzusetzen ist. Schon nach zwei Tagen nämlich kannte sie die lange Fahrstrecke bereits haargenau.
In der Schule selber scheint sie die Lehrerinnen stets stürmisch zu begrüßen und hat in der kleinen Klasse schon Freundinnen gefunden. Trotz ihres frühkindlichen Autismus ist die Kleine sehr kontaktfreudig und für alles Neue aufgeschlossen. Deshalb bietet die Schule ihr täglich ganz viele neue Anregungen, was ihr alles offenbar viel Freude bereitet.
In dieser Förderschule stehen 8 Schülern bis zu 4 Lehrer bzw. Betreuer zur Verfügung, so dass jedes Kind auch individuell gefördert werden kann. Es ist phantastisch, dass es noch solche Schulen gibt; denn im Rahmen der hoch gepriesenen Inklusion würde ein Kind wie meine Enkelin auf der Strecke bleiben.
Die Kleine hat einen Jungen (ebenfalls frühkindlicher Autist) in der Klasse, dessen Eltern ihren Sohn mit rechtlicher Gewalt ein Jahr zuvor in eine Regelschule geschickt hatten, um ihr Recht auf Inklusion durchzusetzen. Der Junge hat ein Jahr gelitten und seine Symptomatik sich stark verschlimmert. Er schreit sehr viel und lässt sich kaum noch bändigen. Nach einem Jahr Regelschule, das für ihn, seine Mitschüler und seine Lehrer eine Katastrophe war, wurde der Junge zwangsverwiesen auf die Förderschule. Für dieses Kind hat Schule nichts Schönes mehr. Er ist verschreckt fürs Leben, weil er bereits traumatische Erfahrungen gemacht hat durch uneinsichtige Eltern, die aus uns bekannten Gründen ihren Sohn nicht auf diese Förderschule schicken wollten.
Meine Enkelin jedoch darf in einem Umfeld lernen, das ihr gut tut und ihr den nötigen Schutzraum bietet, Das genießt sie, da sie gerne lernt im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Deshalb vermisst sie die Schule, wenn Ferien sind.


Donnerstag, 1. Oktober 2015

AUTISTEN UND MEDIZINISCHES PERSONAL

ANMERKUNG:
Die Beiträge. die eine Überschrift in Großbuchstaben haben, sind in enger Zusammenarbeit mit der Autistin Marianne van der Arend entstanden, der es - wie auch mir - extrem wichtig ist, dass neurotypische ("normale") Menschen über Autismus und Menschen mit Autismus aufgeklärt werden. Leider fehlt auch in wichtigen Berufsgruppen noch hinreichende Informationen und Aufklärungen, so dass es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen kann.

Nicht nur Polizisten brauchen Aufklärung über Autismus; auch Ärzte und medizinisches Personal benötigen dringend Informationen über und Verständnis für diese tiefgreifende Entwicklungsstörung, die den ganzen Menschen erfasst und deshalb auch zu Problemen in allen Lebenssituationen führt. Leider fehlen diese Kenntnisse noch viel zu oft.

So können beispielsweise Antipsychotika bei Autisten eine Psychose auslösen statt diese zu verhindern oder psychotische Symptome einzudämmen. Allgemein kann es passieren, dass Medikamente bei Autisten stärkere Nebenwirkungen auslösen als bei neurotypischen Menschen. Es ist sehr wichtig, darauf zu achten.
Um einen Autisten zu narkotisieren, wird oftmals eine wesentlich höhere Dosis gebraucht, bis die Narkose wirkt, obwohl es andererseits vielfach Autisten gibt, die keinerlei oder nur sehr geringfügig Schmerz verspüren.
Auch eine Arztpraxis oder ein Krankenhaus können für autistische Kinder und Erwachsene zur Tortur werden. Nur wenige Ärzte sind so sensibel, dass sie adäquat mit autistischen Kindern umgehen können. Meist endet der Arztbesuch in einer Katastrophe, einem total fertigen Kind, einem verzweifelten Elternteil und der Bemerkung des Arztes: „Dieses Kind ist nicht untersuchbar.“. Wie soll es auch funktionieren, wenn der Arzt einfach versucht, ein autistisches Kind von mehreren Personen festhalten zu lassen, weil es sich mit allen Kräften dagegen wehrt, dass man ihm in den Mund oder in die Ohren schaut oder Blut abnehmen will? (Einiges dazu kann auch nachgelesen werden in meinem Buch „Fanti, das kleine Schlitzohr – Leben mit einem autistischen Kleinkind“)

Werden autistische Menschen im Krankenhaus in Mehrbettzimmer gelegt, so bedeutet das für den Autisten eine ständige Reizüberflutung durch den Fernseher, durch das Telefonieren und die Unterhaltungen der Bettnachbarn, durch die Besucher der anderen Patienten. Je nach Schwere des Autismus könnte das dazu führen, dass der autistische Mensch entweder fluchtartig das Krankenhaus verlässt oder völlig ausrastet, weil er mit der Reizüberflutung total überfordert ist. In der Regel brauchen Autisten eine sehr reizarme Umgebung, zumal er durch die ganzen neuen Eindrücke, die durch das Krankenhaus an sich und die dortige Behandlung auf ihn zukommen, ohnehin schon viel verarbeiten muss. Um überhaupt genesen zu können, wäre ein Einzelzimmer unabdingbar; es reichen schon die ständigen „Störungen“ durch Krankenschwestern, Ärzte, Reinigungskräfte und gelegentlicher Besuch von Angehörigen.      

Donnerstag, 24. September 2015

AUTISTEN UND DIE POLIZEI

ANMERKUNG:
Die Beiträge. die eine Überschrift in Großbuchstaben haben, sind in enger Zusammenarbeit mit der Autistin Marianne van der Arend entstanden, der es - wie auch mir - extrem wichtig ist, dass neurotypische ("normale") Menschen über Autismus und Menschen mit Autismus aufgeklärt werden. Leider fehlt auch in wichtigen Berufsgruppen noch hinreichende Informationen und Aufklärungen, so dass es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen kann.


Autisten und die Polizei
Marianne van der Arend, Erwachsene mit klassischem (frühkindlichem) Autismus hat im vergangenen Jahr einen Vortrag vor 150 Kriminalbeamten gehalten.
Man mag sich fragen, was hat eine Autistin in einer Polizeischule zu suchen?
Lesen Sie folgende Beispiele und die Frage beantwortet sich von selber.
Beispiel 1
Ein Autist beobachtet einen Raubüberfall auf ein Juweliergeschäft und wird anschließend von der Polizei als Zeuge befragt. Die Polizei stellt Fragen, die auf die Beobachtungsgabe neurotypischer Menschen zugeschnitten sind, die einen Überblick über die Gesamtsituation haben. Sie fragt z.B.: „Wie viele Räuber haben das Geschäft verlassen?“
Auf diese Frage kann dieser Mann mit Autismus nicht antworten, weil er seine Aufmerksamkeit kaum auf Menschen richtet, so dass die Polizei ihn nicht mehr weiter befragt, weil sie ihn als Zeugen für wertlos hält.
Der Autist jedoch könnte sehr wohl weiter helfen bei der Suche nach dem Fluchtauto - selbst unter der Voraussetzung, dass das Nummernschild mit aller Wahrscheinlichkeit ausgetauscht worden war. Denn ein Autist merkt sich die Details: Er könnte genau einen winzigen Sticker auf dem Auto der Räuber beschreiben, er könnte angeben, dass der Auspuff nicht in Ordnung war, er könnte darauf aufmerksam machen, dass der Motor eigenartige Geräusche von sich gegeben hat und welche Ursache das hat, er könnte genau aussagen, welche Reifen wie weit  abgenutzt waren und welche nicht.
Aber danach würden die Kriminalbeamten kaum fragen, es sei denn, sie seien durch eine Fortbildung sensibilisiert dafür, dass sie einen Autisten vor sich haben und die Kenntnis, dass dieser durchaus wertvolle Angaben zur Aufklärung des Falles machen kann - allerdings andere als die üblichen.
Um das noch einmal zusammen zu fassen: Autisten haben auf Grund ihrer anderen Wahrnehmung kaum die Möglichkeit, einen Überblick über eine Gesamtsituation zu gewinnen; dafür jedoch erfassen sie präzise Details, die neurotypischen Menschen überhaupt nicht auffallen.

Eine Frau mit Autismus könnte nichts über die Gesichter der Räuber erzählen, wüsste aber jedes Detail über deren Bekleidung. Sie könnte genau sagen, wenn ein Knopf gefehlt hätte, wenn ein Kleidungsstück an einer Stelle eine Reparaturnaht aufwiese. Sie könnte angeben, um welche Modelle es sich bei den Kleidungsstücken handelt und in welchem Jahr diese gekauft worden sind. Auch diese Frau nimmt anders wahr als neurotypische Menschen, könnte jedoch Informationen geben, die durchaus sehr wichtig sein könnten, um die Bankräuber zu finden oder um ihnen die Tat nachzuweisen.

Beispiel 2
Ein autistischer Jugendlicher steht auf einem Weg und beobachtet fasziniert Flugzeuge. Plötzlich hält neben ihm ein Polizeiauto, was den jungen Mann sehr erschreckt, weil er so intensiv in Gedanken und Schauen versunken war. Deshalb rennt er fort, was die Polizei veranlasst, zu vermuten, er habe einen Grund, vor der Polizei zu fliehen. Als die zwei Beamten ihn erwischt haben, halten sie ihn fest, was für viele Autisten das Schlimmste ist, was man ihnen antun kann. Dadurch schraubt sich die Spirale hoch. Denn jetzt schreit und wehrt der junge Autist sich nach Leibeskräften, tritt um sich, kratzt und beißt. Das wiederum werten die Polizisten als heftigen Widerstand gegen Vollzugsbeamte, nehmen ihn fest und bringen ihn gewaltsam in Polizeigewahrsam. Der völlig unschuldige junge Mann, der nur so reagiert hat, weil die beiden Ordnungshüter ihn aus Unwissen falsch angefasst haben, muss drei Tage in Haft verbringen.
Allerdings war diese Situation für beide Seiten fatal. Zunächst haben sie aus ihrer jeweiligen Wahrnehmung heraus plausibel reagiert. Jedoch auf der Polizeiwache wäre es erforderlich gewesen, dass Polizeibeamte auf Grund entsprechender Kenntnisse den jungen Mann als Autisten erkannt hätten, um sein Verhalten im Nachhinein angemessen einzuordnen. Dann wäre ihm viel Leid erspart geblieben durch die Haft, die tiefgreifende Ängste bei dem unschuldigen Autisten aus

Freitag, 18. September 2015

Unser 1. Vereinsfest

Heute ist unser Vereinsfest (Autistische Welt e.V.) schon fast eine Woche her. Doch die Nacharbeit ist fast noch intensiver als die Vorbereitung. Es war ein voller Erfolg und wir freuen uns alle schon auf das nächste Jahr. 
Einen herzlichen Dank an diese Spender, an die Spender der vielen Kuchen und an die vielen freiwilligen Helfer, ohne die wir das Fest gar nicht hätten stämmen können.
Ganz lieben Dank auch an Ines, die vielen autistischen und nicht-autistischen Kindern mit Schminken und Schleuderbildern sehr viel Freude bereitet hat.

Ich habe mittlerweile alle 297 Fotos gesichtet, die eine gute Freundin geschossen hat. Ihr gelang es, phantastische Momente einzufangen, die deutlich machen, wie viel Freude autistische Kinder, die sonst keine Miene verziehen und kein Wort zuviel verlieren, zeigen können, wenn sie richtig Spaß haben, sich ungehindert austoben dürfen und sich auf neue Angebote bereit sind einzulassen.

Jetzt ist schon das nächste Projekt in Planung. 
Eine erwachsene AUTISTIN (mit frühkindlichem Autismus) spricht über AUTISMUS.
Es gibt unzählige Wissenschaftler, die sehr viel über Autismus zu sagen haben: Aber zwischen ihren Vorträgen und dem der Autistin gibt es den entscheidenden Unterschied:
Die Wissenschaftler referieren Fakten über Autismus; die Autistin spricht über sich selber und lässt die Zuhörer Autismus hautnah erleben. 
Marianne (van der Arend) hat die besondere Gabe, neurotypischen ("normalen") Menschen zu erklären, wie Autisten die Welt wahrnehmen, wie sie denken, was sie besser können als die "Normalos" und was Autisten ganz viele Schwierigkeiten bereitet.

Die folgenden Blog-Einträge werden sich dahingehend ändern, dass ich zwar auch weiterhin über meine Enkelin Helena Marie schreiben werde, aber auch über Erlebnisse im Leben von Marianne, der frühkindlichen Autistin, die nun eine erwachsene Frau ist, die ihr Leben meistert mit Familie und großem Einsatz für Autisten.     

Dienstag, 8. September 2015

Autismus und Milch

Liebe Leser,
seit bei meiner inzwischen 6-jährigen Enkelin frühkindlicher Autismus festgestellt wurde, dreht sich mein ganzes Leben nur noch um das Thema "Kanner-Autismus". Denn die Kleine wächst zusammen bei meiner Tochter und mir auf. Inzwischen fühle ich mich schon als "Expertin" für Autismus, weil ich mittlerweile ein großes Netzwerk aufgebaut habe durch die Gründung des Vereins "Autistische Welt e.V.", durch das Schreiben eines Buches "Fanti, das kleine Schlitzohr - Leben mit einem autistischen Kleinkind", durch das Halten von Vorträgen, durch das Betreiben dieses Blogs, durch den Aufbau der facebook-Gruppe "Autistische Welt", durch aktive Teilnahme in zwei großen Autismus-Foren, durch persönliche Kontakte zu Familien mit autistischen Kindern, durch regen Email-Austausch mit Betroffenen und durch Besuch von Fortbildungsveranstaltungen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine Fachtagung hinweisen, die am 3./4. Oktober in Eppelheim stattfindet und sich mit dem Thema Biomedizin im Zusammenhang mit Autismus befasst.
http://www.hands4autism.eu/news/anmeldung-eppelheimer-fachtagung-autismus-2015-eintrag_3.html
Dieses Thema reizt mich sehr, weil wir selber die Erfahrung gemacht haben, dass sich autistische Symptome meiner Enkelin deutlich verbessert haben, seitdem sie keine Milchprodukte mehr bekommt. Sie ist deutlich ruhiger geworden, schafft Blickkontakt, kann sich besser konzentrieren und nimmt viel mehr von ihrer Umwelt wahr. Dadurch ist sie wesentlich kommunikativer und sozial offener geworden, was ihrer Gesamtentwicklung sehr gut tut. Medizinische Untersuchungsergebnisse haben wir nicht - aber praktische Erfahrungswerte; und das zählt für uns. Dem Kind geht es besser - und das macht uns glücklich.  
Es muss ja etwas dran sein, denn ein Vortrag der oben genannten Fachtagung heißt: 
"Milch und Autismus"
Ich hoffe, dass ich es schaffe, an der Fachtagung teilnehmen zu können, um mehr darüber zu erfahren. Außerdem würde es mich reizen, dort ganz viele andere Betroffene  kennen zu lernen.  

Dienstag, 18. August 2015

Der 1. Schultag

Jetzt haben wir ein Schulkind! Meine Enkelin, die frühkindlichen Autismus hat, geht seit wenigen Tagen auf eine Förderschule für geistige Entwicklung. Dabei ist sie geistig recht fit und ausgesprochen clever und besonders pfiffig im Problemlösen, wenn sie ihren Willen durchsetzen möchte.
Doch sie ist weder sauber noch trocken, spricht - außer "autistisch" - kaum und muss ständig unter Beobachtung sein, weil sie sonst nur "Dummheiten" macht, durch die sie sich gefährden könnte. Sie ist sehr fix, wendig und Ideen reich, aber ohne Gefahrenbewusstsein. Da wäre die so hoch gepriesene Inklusion der glatte Wahnsinn. 
Überhaupt: Es entsteht der Eindruck, als würden die Förderschulen immer mehr zu Schulen für Autisten zu werden. Denn Autisten können noch so intelligent sein: Sie sind oft in ihrem Verhalten und in ihrer Wahrnehmung so speziell, dass sie es in einer Regelklasse nicht aushalten könnten und von den neurotypischen Kindern auch nicht zu ertragen wären. Viele Autisten können die Reizüberflutung in einer Regelschule mit großen Klassen nicht ertragen und rasten aus, schlagen und treten um sich, beißen oder reißen aus, schreien und verwüsten ihr Umfeld. Das kann niemandem zugemutet werden und kein Integrationshelfer vermag das aufzufangen. In einer Förderschule kommen auf 8 Kinder 4 Betreuer und es gibt Ruheräume und Rückzugsmöglichkeiten für Kinder, die besondere Betreuung brauchen. Ganz zu schweigen von dem Mobbing, dem diese Kinder an einer Regelschule ausgesetzt wären, wo schon die Außenseiter und Opfer von hässlichen Angriffen sind, die keine Markenklamotten tragen. Man solle nicht glauben, dass Kinder und Jugendliche auf einmal mitfühlend werden, wenn man ihnen zwangsweise "besondere" Mitschüler in die Klasse setzt. Auch die Eltern von Regelschülern laufen Sturm gegen die Inklusion, weil sie befürchten, dass dadurch ihre Kinder vom Lernen abgehalten werden. (Ausnahmen bilden rein körperlich behinderte Kinder; ein Rollstuhl hindert nicht am Lernen). 
Somit kämpfen wir auch für den Erhalt von Förderschulen, weil hierzulande in Regelschulen gute Inklusion in keiner Weise hinreichend vorbereitet und deshalb nicht durchführbar ist.  
Meiner Enkelin scheint es in der Schule gut zu gefallen; sie kann zwar nichts davon erzählen, kommt aber fröhlich und entspannt zurück. Auch schreibt die Klassenlehrerin Rückmeldungen ins Mitteilungsheft, die unseren Eindruck bestätigen. Denn Helena Marie ist wirklich ein sehr fröhliches und in ihrer Welt glückliches Kind und erobert sofort alle Herzen im Sturm. In der Schule hat es keine zwei Tage gedauert und selbst die Schulbusbegleitung machte schon am zweiten Tag eine Bemerkung über Helenas Fröhlichkeit und positive Ausstrahlung. 
Wir hoffen nur, dass die Kleine dort genug lernt, da sie bereits vor Schulbeginn durch autodidaktisches Lernen den Umgang mit Buchstaben und Zahlen beherrschte und jetzt mit Schülern zusammen ist, die vielleicht nie lesen, schreiben und rechnen lernen werden. Doch wir vertrauen erst einmal darauf, dass man Helena dort individuell fördern wird, damit sie sich nicht langweilt. Denn dann käme sie schnell auf dumme Gedanken und würde dazu neigen, Unfug zu machen und zu stören.     

Mittwoch, 12. August 2015

Fanti, das kleine Schlitzohr

Fanti, das kleine Schlitzohr,
so heißt der Titel meines Buches, das letztes Jahr erschienen ist und meine Enkelin (Helena) Marie, die Kanner-Autismus hat, in ihren ersten Lebensjahren beschreibt.
Inzwischen ist sie 6 Jahre alt und es hat sich enorm viel verändert. Längst wäre die Zeit reif für eine Fortsetzung. Aber der Titel müsste bleiben, was eine Begebenheit am heutigen Morgen wieder gezeigt hat.
Die Kleine hat ihre Mama gerade mal wieder so richtig ausgetrickst. Die nassen Windeln macht sie sich immer selber, die vollen lässt sie Gott sei Dank zu (es gibt viele Autisten, die mit Kot überall rumschmieren). In letzter Zeit hatte Helena Marie, die wegen ihres frühkindlichen Autismus noch nicht sauber und trocken ist, immer dann die Windel voll, wenn Mama gerade angefangen hatte zu frühstücken. Und diese hasst nichts mehr, als wenn jemand sie beim "heiligen Frühstück" stört - schon gar nicht wegen einer stinkenden Windel. Diesmal stank sie schon vorher und Mama wollte ihr Töchterchen unbedingt vorher säubern, was dieses natürlich ablehnte. Mama hat sie gewarnt, dass sie warten müsse, sobald das Frühstück begonnen habe oder dass ich als Oma es machen würde. Aber "unser kleines Schlitzohr" ist ja Spitze im problemlösenden Denken und findet immer Wege für sich, ihren Willen durchzusetzen. Kaum hatte Mama ins Brötchen gebissen, kam Helena Marie an. Mama wollte sich nun durchsetzen und ich versuchte, mit der Kleinen zum Windelnwechsel ins Zimmer zu gehen. Was macht das Luder? Schreit "selber", rennt ins Bad, holt sich ein neues Handtuch als Unterlage für auf den Boden, schnappt sich die Popotücher und will mich aus dem Zimmer drängen. Um zu vermeiden, dass sie sich selber die volle Windel abmacht und versucht, den völlig verschmierten Popo "selber" zu säubern, blieb Mama doch nichts anderes übrig, als vom Frühstückstisch aufzustehen und unter Gefluche und Geschrei Töchterchens Willen zu erfüllen. Ich bin grinsend in die Küche gegangen, wo Mamas Freund und ich uns richtig darüber amüsiert haben.
Warum sagt man eigentlich immer, Kinder mit frühkindlichem Autismus hätten einen niedrigen IQ?

Dienstag, 4. August 2015

Warten auf die Schule

Liebe Leser,
was geht im Kopf einer 6-jährigen mit Kanner-Autismus vor, die nicht kommunizieren kann, was sie beschäftigt? Sie hat wohl verstanden, dass ihr geliebter Kindergarten zu Ende ist, in den sie ein Jahr gegangen ist. Sie weiß auch, dass etwas kommen wird, was "Schule" heißt. Aber sie kann keine Fragen stellen, um zu erfahren, was sie da erwartet. Sie versteht nicht, wenn man ihr erklärt, dass sie dort lesen, schreiben und rechnen lernen wird. Obwohl sie davon schon einiges kann. Abweichend von vielen anderen Kindern mit Kanner-Autismus mit bisher ganz weniger Sprachentwicklung scheint sie über viel Intelligenz zu verfügen, mit der sie auch manche Defizite auszugleichen versucht.
Mein Gott, wie weit waren wir noch davon entfernt, als ich das Buch "Fanti, das kleine Schlitzohr - Leben mit einem autistischen Kleinkind" verfasste"! Dort hatten wir noch Bedenken, ob unser kleiner Schatz überhaupt in einen Kindergarten gehen könnte und über die unvermeidbare Schulpflicht machten wir uns schon Sorgen.  
Inzwischen war Helena Marie mit Freude und riesigen Entwicklungsfortschritten als Kind mit heilpädagogischem Förderbedarf in einer integrativen Kindergartengruppe, hat sich autodidaktisch am Ipad das ganze Alphabet beigebracht, kann die Wörter, die sie spricht, schreiben und lesen, zählt bis 200 und hat keine Probleme mit kleinen Rechenaufgaben. Die Kleine fordert Erwachsene auch auf, ihr Wörter und Zahlen aufzuschreiben und Dinge zu benennen. Sie ist extrem wissbegierig, lernt freiwillig und allein und mit viel Spaß. Allerdings wird unser kleiner Schatz Probleme haben, ihr Wissen auf Aufforderung preiszugeben, weil sie Aufgabenstellungen nicht verstehen wird und auch nicht "auf Kommando" reagiert.
Das ist es auch, was Helena Marie den Weg zur Regelschule versperrt. Außerdem ist sie weder sauber noch trocken und braucht ständige Beaufsichtigung. Sie wird deshalb - wie viele frühkindliche Autisten - auf eine Förderschule gehen, wo sie keinen Schulabschluss bekommen kann, auch wenn sie dort sehr viel lernen würde. 
Untersuchungen haben ergeben, dass selbst Asperger Autisten, die sehr gut sprechen und hochintelligent sind, auf Förderschulen für geistige Entwicklung landen, weil sie woanders auf Grund ihrer sonstigen Defizite und ihres Verhaltens nicht beschulbar wären. Autisten adäquat zu unterrichten, ist kaum möglich, selbst wenn man spezielle Klassen für Autisten einrichten würde. Jeder Autist ist so individuell in der Ausprägung seiner Besonderheiten, dass man mehrere Autisten niemals auf einen gemeinsamen Nenner bringen könnte. Im Grunde bräuchte jedes Kind mit Kanner- bzw. Asperger-Autismus individuellen Unterricht, was nicht realisierbar ist.
Wir machen uns Gedanken über die bevorstehende Schulzeit; Welche Gedanken sich meine Enkelin macht, wissen wir nicht. Sie kann es uns nicht sagen. Sie muss alles mit sich selber ausmachen. Wir können nur hoffen, dass die Kleine das Neue gut verkraftet. Wir würden ihr so gerne helfen, ihr davon erzählen, ihre Fragen beantworten und ihre Zweifel zerstreuen können. Das belastet uns, weil wir immer möchten, dass das kleine Herzchen unbelastet und glücklich durchs Leben geht. Aber vielleicht fallen ihr die neuen Eindrücke auch gar nicht so schwer wie vielen anderen Autisten, die kaum mit Veränderungen umgehen können. Helena Marie hat vor nichts und Niemandem Angst, stört sich nicht an Änderungen im Haus und im Kinderzimmer, mag Besuch und fremde Menschen und unbekannte Orte. So wird auch hoffentlich die neue Situation der Schule sie nicht überfordern, so dass sie nach einigen Tagen wahrscheinlich mit Freude hingehen wird.
     

Donnerstag, 23. Juli 2015

Die ersten Jahre und der Opa

Liebe Leser!
Wer alle Zusammenhänge und Anspielungen in diesem Blog auf die ersten Jahre im Leben mit meiner Enkelin mit frühkindlichem Autismus verstehen möchte, täte gut daran, mein Buch, "Fanti, das kleine Schlitzohr - Leben mit einem autistischen Kleinkind" zu lesen, das im Tiponi-Verlag erschienen ist. Es ist deshalb so wertvoll, weil es einerseits einen roten Faden in die Lebensgeschichte bringt, andererseits aber auch typische Merkmale eines Kindes mit frühkindlichem Autismus beschreibt und erklärt. 
Und drittens zeigt es im Zusammenhang mit diesem Blog, wie positiv sich ein Kind entwickeln kann, obwohl die ersten Jahre und die ganzen Symptome im Rahmen des frühkindlichen Autismus wenig Hoffnung offen ließen.
Was ebenso erstaunlich ist, ist die große Liebe von Opa zu Helena Marie. Insgesamt nicht ganz glücklich über seine alleinerziehende Tochter lässt er sich gerne als "Kindermädchen" für seine Enkelin einspannen. Die beiden verstehen sich wortlos, haben ganz viel Freude und Spaß miteinander und verbringen viele herrliche Stunden, sobald Opa da ist. Dann sind Mama, Oma und auch die nette Betreuerin vom FuD abgeschrieben - Helena Marie freut sich riesig, wenn ihr Opa nach seinen regelmäßigen Tagen von 2-3 Tagen Abwesenheit pro Woche wieder da ist.
Vor allen Dingen das "wortlose" Verstehen ist so bemerkenswert. Opa ist der absolute Sprach-Freak. Er ist Doktor der Sprachwissenschaft und legt höchsten Wert auf präzise Sprache und verachtet jeden, der dieser nicht mächtig ist. Er war sehr stolz, als seine eigene Tochter schon sehr früh gut und richtig sprach, weshalb er dieser stets ganz viel Literatur erzählte oder vorlas. Daran ist bei seiner Enkelin natürlich nicht zu denken. Durch ihren frühkindlichen Autismus fehlt ihr die Sprache; sie beherrscht mit ihren 6 Jahren zwar inzwischen ca. 120 Wörter; aber vom Sprechen ihrer Muttersprache ist das meilenweit entfernt. Doch das stört Opa überhaupt nicht. Im Gegenteil; schon in Phasen, in denen wir noch dachten, sie verstünde uns noch überhaupt nicht, war er fest überzeugt, dass die Kleine ihn durchaus verstehe. Er freut sich - wie wir - riesig über jedes neue Wort, das sie lernt, lässt sich aber auch genauso gerne minutenlang etwas in "autistisch" von seinem kleinen Schatz erzählen. Es macht ihm überhaupt nichts aus, dass dieses liebenswerte Kind der Muttersprache nicht mächtig ist, obwohl ihm ansonsten Sprache im Umgang mit Menschen das allerwichtigste ist. Denn es geht ihm nicht nur um die richtige Grammatik, sondern auch um die exakte Wortbedeutung, die bei etwas lässigem Sprachgebrauch dann immer erst diskutiert werden muss. Das ist oft so nervig, dass ein Gespräch schon endet, bevor es richtig angefangen hat. "Wortklauberei", "jedes Wort auf die Goldwaage legen" - damit ist wohl alles gesagt.
Das alles spielt bei Helena Marie keine Rolle. Der kleine Engel mit frühkindlichem Autismus hat "Narrenfreiheit". Sie wählt andere Formen der Kommunikation und ist zusammen mit Opa ein "Dreamteam".    

Freitag, 17. Juli 2015

Von peinlich bis lustig

Liebe Leser!
Jeder Tag mit meiner nun sechsjährigen Enkelin, die frühkindlichen Autismus hat, birgt unvorhersehbare Überraschungen. Fast jede Minute muss man damit rechnen, dass etwas geschieht, was einem die Sprache verschlägt und mit dem man nicht gerechnet hat. Deshalb ist es auch stets sehr anstrengend, die Tage mit ihr zu verbringen, auch wenn man - neben des Überstehens peinlicher Situationen - oft sehr viel zu lachen hat und sich wundert, was sich alles in diesem cleveren Köpfchen zusammenbraut.
Das eine sind natürlich die Rituale, die für Kinder mit frühkindlichem Autismus typisch sind. Einmal etwas gesehen oder getan, so wird es von da an tagein tagaus in derselben Weise wiederholt und darf um Gottes Willen nicht mehr abgeändert werden. Wehe, die Umstände erfordern eine Umstellung - dann wird es laut und die Türen knallen.
Schon mehrfach hat Helena Marie ihre Mama zu einem Pferdestall begleitet, wo die betagte Dame, die die Pferde mitbetreut, morgens ihr Leberwurstbrötchen mit ihrem uralten Hund teilt. Jedes Stück des in Fünftel geteilten Brötchens wird zunächst von der Hundebesitzerin angebissen und der Rest dem Hund ins Maul gesteckt. Einmal gesehen, muss es morgens zu Hause ebenso ablaufen. Bei jedem Wind und Wetter rennt die Kleine mit ihrem Brötchenteller samt gleich geschnittenem Leberwurstbrötchen in den Garten, wo unser Hund seine große gemütliche Hütte hat. Ebenso beißt sie von jedem Fünftel ein Stück ab und steckt den Rest laut lachend und hüpfend unserem freudig wartenden Hündchen ins Maul. Beide haben einen Heidenspaß und genießen das morgendliche Ritual.
Peinlich wird es dann, wenn man mit einem inzwischen 6-jährigen Mädchen unterwegs ist, unter dem sich - mitten in einem Laden - trotz Windel eine große Pfütze bildet. So geschehen vor einigen Tagen, als ich mit meiner Enkelin in einer Tankstelle bezahlen wollte. Ich war bereits seit mehr als einer Stunde mit ihr unterwegs und sie hatte eine Windel unter dem Rock und ihren beiden Kleidern (ihr momentan bevorzugtes Outfit). Nach dem Tanken wollten wir ohnehin nach Hause fahren. Doch es war schon zu spät. Helena Marie ist aufgrund der Wahrnehmungsstörung bei frühkindlichem Autismus immer noch nicht in der Lage zu spüren, wenn sie Pipi machen muss. Es läuft einfach. Da ihre Windel, die wir vor dem Wegfahren noch gewechselt hatten, offenbar schon voll war, lief sie über und es bildete sich unter der Kleinen eine große Pfütze. Da war guter Rat teuer. Manch andere hätte sich wohl klammheimlich weggeschlichen. Ich aber hatte Sorge, dass jemand auf dem nassen Fliesenboden ausrutschen könnte und bat dann den Angestellten der Tankstelle, mir wegen des passierten Malheurs Papier zum Aufwischen zu geben. Na ja, es gibt Schlimmeres - aber es gibt auch schönere Situationen.
Dafür wird man hinreichend entschädigt mit Szenen, die einmalig sind. Unser kleiner Schatz setzte Mama, Oma und Opa auf der Terrasse in eine Reihe, holte sich einen Stuhl und platzierte sich ca. 2m genau gegenüber. Dann hat sie fast 10min einen Monolog (in "autistisch") gehalten. Anschließend ist die Kleine aufgestanden, hat sich ein Stöckchen gesucht, es als Mikrofon genutzt, sodann erst immer selber reingesprochen und es danach abwechselnd vor unsere Münder gehalten und Antworten erwartet. Es war zu Schlapplachen.
Kinder mit frühkindlichem Autismus sind Überraschungspakete in jeglicher Hinsicht. Aber im Zusammenleben mit ihnen kommt keinerlei Langeweile auf. 

Donnerstag, 25. Juni 2015

Das Drama der Veränderung

Liebe Leser!
Kinder mit frühkindlichem Autismus neigen sehr dazu, dramatisch auf Veränderungen zu reagieren. Für viele ist es schon nicht möglich, wenn die Möbel in der Wohnung verstellt werden, die Farben der Zimmer sich ändern, Orte und Personen wechseln. Denn Gewohntes bringt Sicherheit und Halt, nimmt Ängste vor der "unheimlichen" Welt. Menschen mit frühkindlichem Autismus haben eine tiefgreifende Wahrnehmungsstörung - ich würde es lieber veränderte Wahrnehmung nennen. Wieso ist es grundsätzlich eine Störung, wenn ein Mensch die Dinge detaillierter betrachtet und dabei das Ganze aus dem Auge verliert? Ich denke, es kommt auf die Umwelt, auf die Umgebung des Autisten an, ob seine Art der Wahrnehmung als krankhafte Störung einzustufen ist. In einer reizarmen Umgebung, in der nicht Unmengen an Farben, Formen und Geräusche auf den Autisten einwirken und er sich auf die wenigen Dinge in allen Einzelheiten konzentrieren kann, nimmt er viel mehr wahr als ein Nicht-Autist. Das ist phantastisch und wir könnten viel daraus lernen. Man sagt den Autisten nach: "Sie sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht". Ja, aber sie sehen jeden einzelnen Baum in seiner Schönheit und Beschaffenheit, jedes einzelne Blatt, jedes Ästchen, jedes Detail der Baumrinde. 
Kommen wir zurück auf das eigentliche Thema. Meine nun 6-jährige Enkelin, die von frühkindlichem Autismus betroffen ist, hat ebenfalls Probleme mit Veränderungen, allerdings nicht mit der Umgebung. Veränderungen in der Wohnung, Fahrten zu verschiedenen Orten, Besuch fremder Leute: Alles das macht ihr nichts aus. Dafür hält sie sich lange an festen Ritualen fest, um darin ihre Sicherheit zu finden.
Was jedoch der Kleinen große Probleme bereitet, ist die Veränderung, die jetzt auf sie zukommt. Der Abschied vom Kindergarten und das, was kommt: Das, was alle "Schule" nennen. Sie werden denken: "Das geht anderen Kindern doch auch so."
Ja und nein. Denn Helena Marie ist ein "besonderes" Kind. Sie kann noch nicht sprechen und versteht nicht alles. Niemand weiß also, was sie von dem mitbekommt, was man im Kindergarten über das Ende und über das, was kommen wird, erzählt. Sie kann nicht nachfragen, um ihre Unsicherheit  los zu werden. 
Deshalb baut sie ihre Ängste vor dem Gespür der drohenden Trennung vom heiß geliebten Kindergarten und der Angst vor dem Neuen, was alle "Schule" nennen, ab, indem sie wieder unkontrollierte Schrei- und Weinanfälle bekommt, auf alte Verhaltensweisen zurück greift und mit uraltem Spielzeug aus Babytagen spielt. Die Kleine ist völlig durcheinander, weil wir ihr nicht hinreichend erklären können, dass in der Förderschule viel gespielt wird, dass es dort Musik und Sport gibt, was Helena Marie besonders gefällt, dass sie dort mit Buchstaben und Zahlen umgehen kann, was sie schon lange zu Hause liebend gerne an ihrem Ipad ausführt. 
So müssen wir zusehen, wie sie versucht, die beängstigende Zukunft auf ihre Weise zu verarbeiten. Wir können ihr nur noch mehr Sicherheit in ihrem Zuhause schaffen, sie liebevoll auffangen, wenn sie momentan öfter als sonst "in ihre eigene Welt" abtaucht und niemanden an sich heran lässt.      

Samstag, 13. Juni 2015

Die Förderschule

Liebe Leser,
vor wenigen Tagen war Kennenlernnachmittag in der Förderschule, die meine Enkelin bald besuchen wird. Die Schule selber kannten wir schon; jetzt ging es darum, dass die Kleine schon einmal ihre zukünftige Klassenlehrerin, die weiteren Betreuer und die Mitschüler "beschnuppern" konnte.
Helena Marie hat zunächst etwas geklammert und dann ziemlich selbstständig ihr Umfeld erkundet. Als Kind mit frühkindlichem Autismus - noch fast ohne Sprache - und mit erheblicher Entwicklungsverzögerung kann sie nicht auf eine Regelschule gehen. Inklusion ist ein großes Wort: Aber leider gibt es nicht die passenden Integrationshelfer, die erforderlich wären, um die Kleine (die weder sauber noch trocken ist und Vieles einfach nicht versteht) hinreichend in einer lückenlosen 1:1-Betreuung durch einen normalen Schulalltag zu bringen.
Sie ist ein "besonderes" Kind. Das Wort "Behinderung" darf man ja nicht mehr in den Mund nehmen. Trotzdem darf man nicht "Sonderschule" sagen, sondern muss sie "Förderschule" nennen. Immer dieses schreckliche Aufpassen bei der Wortwahl. Ich persönlich habe kein Problem damit, meine Enkelin als behindert zu bezeichnen. Immerhin hat sie einen Schwerbehindertenausweis. Deshalb werde ich auch bei dem Wort bleiben.
Jetzt komme ich lieber wieder zu dem Nachmittag zurück. 
In Helenas Klasse kommen mit ihr vier neue Kinder und vier, die bereits ein Jahr auf der Schule sind. Es ist schon auffällig, dass von den vier neuen Kindern drei frühkindlichen Autismus haben. Kinder mit dieser starken Entwicklungsverzögerung und Wahrnehmungsstörung scheinen offenbar bei der Inklusion außen vor zu bleiben. Ich weiß selber, dass es im heutigen Schulsystem und in der Schulpraxis nicht funktionieren würde, weil am grünen Tisch geplant wird und keine Gelder zur Verfügung stehen, hinreichend viele und gut ausgebildete Integrationshelfer zur Verfügung zu stellen. Doch im heilpädagogischen Kindergarten hat  es wunderbar geklappt, dass meine Enkelin mit zehn normalen Kindern zusammen war, sehr viel von ihnen gelernt und alles mitgemacht hat und sich prächtig entwickeln konnte.
Dieser Faktor fällt jetzt in einer gewissen Hinsicht weg. Das Lernen durch Beobachtung, durch Abschauen von denen, die mehr können als sie. Ich habe keinerlei Berührungsängste mit behinderten Kindern. Jedes einzelne von ihnen ist ausgesprochen liebenswert und ein wertvoller Mensch. Natürlich kann Helena auch von diesen Kindern menschlich lernen; Vieles wird ihr möglicherweise an dieser Schule erspart bleiben. Es wird hoffentlich weniger Mobbing geben, weniger Konzentration auf Markenkleidung und neueste Trends, weniger bewusste Gewalt. Dafür aber wird sie die vermissen, von denen sie abschauen kann, wie sie ihre Wissbegier und ihre Lernfreude befriedigen kann. Ich befürchte, sie wird sich entsetzlich langweilen und dann auf dumme Gedanken kommen. Denn sie ist trotz ihrer Behinderung intelligent und clever. Sie hat sich mittels Ipad autodidaktisch das Alphabeth angeeignet, möchte ganze Wörter lesen, zählt mit Freude bis 200 und trickst uns aus, wo sie nur kann. 
Das alles ist mir durch den Kopf gegangen, als ich die vielen behinderten Kinder sah, von denen meine Enkelin bald den ganzen Tag umgeben sein wird. Ich vermute, sie wird zu diesen Gleichaltrigen keinen Kontakt aufnehmen (im Gegensatz zu den Gleichaltrigen im Kiga) sondern nur zu den erwachsenen Bezugspersonen - und das wäre schade. Ein Kind braucht Kontakt zu Kindern, zumal Helena Einzelkind ist. Ihre beiden neuen Mitschüler mit frühkindlichem Autismus haben ältere nicht-behinderte Geschwister, die Vieles ausgleichen können. 
Abwarten - und Tee trinken? (Ich hasse Tee).               

Dienstag, 9. Juni 2015

Die Sprache eines Kindes mit frühkindlichem Autismus

Liebe Leser!
Meine sechsjährige Enkelin mit frühkindlichem Autismus spricht fließend.
Sie redet manchmal minutenlang auf uns ein, spricht mit sich selber oder auch gerne mit den Sträuchern bei ihrem abendlichen Rundgang durch den Garten.
ABER! Was spricht sie? 
Nein - weder ihre Muttersprache noch eine sonst verständliche und nachvollziehbare "Fremdsprache". Sie spricht "autistisch", das sich für unsere, die deutsche Sprache gewohnte Ohren anhört wie ein Gemisch aus arabisch, japanisch und sonstigen fremden Klängen. Niemand weiß oder kann uns erklären, wie so etwas zustande kommt. Das Kind möchte sprachlich sehr viel mitteilen, es möchte sich verbal artikulieren, von Eindrücken erzählen. Doch es wählt ein undurchschaubares Sammelsurium aus Silben, die flüssig aneinander gereiht werden, jedoch für neurotypische Menschen keinerlei verstehbaren Sinn ergeben. 
Gleichzeitig lernt Helena Marie mittlerweile mühsam Wort für Wort ihre Muttersprache. Sie hat inzwischen einen aktiven Wortschatz von ca. 120 Wörtern; die meisten davon sind Substantive, die sie mehr oder weniger verständlich aussprechen kann. Normal ist in dem Alter eine Beherrschung von ca. 4000 Wörtern, aus denen vollständige, komplexe Sätze gebildet werden. Davon ist meine Enkelin meilenweit entfernt. Wir freuen uns riesig über jedes neue Wort, das sie einem Gegenstand zuordnen kann.  
Wie groß ihr passiver Wortschatz ist, der eigentlich bei ca. 20000 Wörtern liegen müsste, wissen wir manchmal nicht so wirklich. Bis vor etwa einem Jahr verstand sie uns fast noch überhaupt nicht. Doch wie unendlich schön ist es jetzt, wenn wir das Gefühl haben oder an der Reaktion des Kindes sehen, dass sie erfassen konnte, was wir ihr gesagt haben.
Was jedoch sehr bemerkenswert ist:
In den üblichen Tabellen über das Sprachvermögen "normaler" 6-jähriger Kinder steht:
"Sie können bis zehn zählen".
Helena Marie, unser Schatz mit frühkindlichem Autismus, die weit davon entfernt ist, ihre Muttersprache zu sprechen, zählt locker bis 200. Wie soll man das erklären?
Was noch auffällt:
Menschen, die die deutsche Sprache als Fremdsprache erlernen, lernen zugleich mit Vokabeln auch Grammatik und ganze Sätze. Sprachbegabte Menschen können das im Laufe der Zeit sehr gut realisieren, andere machen immer Fehler und werden sich eine Fremdsprache nie richtig aneignen. 
Kinder mit frühkindlichem Autismus erlernen ihre Muttersprache anders:
Sie lernen Wort für Wort, meist anhand von Bildern, die den Gegenstand oder die Tätigkeit zeigen. Sie müssen sich also zunächst eine Menge "Vokabeln" aneignen, bis irgendwann weitere Schritte der Sprachentwicklung möglich sind. Es sei denn, sie neigen zu "Echolalie", d.h.: Sie sprechen wie ein Echo ganze Sätze nach, ohne allerdings deren Sinn zu verstehen oder sie selbstständig bilden zu können.  
Leider ist das Ganze noch nicht hinreichend erforscht. Ich denke, nicht nur ich würde gerne verstehen, warum das Gehirn von Kindern mit frühkindlichem Autismus so funktionieren. Es gibt noch viel zu tun, um dem Geheimnis "Autismus" auf die Spur zu kommen. 

Dienstag, 26. Mai 2015

Fremder Babysitter --- ist jetzt möglich!!!

Liebe Leser!
Wie sich die Zeiten ändern! 
Wie wunderbar, wie positiv sich ein Kind mit frühkindlichem Autismus innerhalb recht kurzer Zeit entwickelt!
Vor knapp einem Jahr schrieb ich noch, dass es unmöglich sei, dass eine "fremde" Person meine Enkelin ins Bett bringen könne, wenn Mama und ich mal nicht da seien. "Fremd" wären auch der heiß geliebte Opa und die vertraute Dame vom FuD gewesen, weil sie die komplizierten und vielfältigen Rituale des Zubettbringens nicht hätten durchführen können.
Inzwischen ist alles anders. Helena Marie braucht trotz ihres frühkindlichen Autismus nur noch wenige Kleinigkeiten, um zufrieden auf ihrem Riesenteddy einzuschlafen. Sie hat die zweistündigen Rituale von selber abgebaut; welch eine Erleichterung für uns - aber auch für sie selber. Denn jetzt kann sie spielen, bis sie müde ist, ohne dass wir das Zubettbringen schon zwei Stunden vor der Zeit beginnen müssen.
Ein Bett wird allerdings nicht akzeptiert. Dieses Kind schläft nur auf ihrem 1,20m langen Teddy, überhäuft mit sechs bunten Decken, die nur in einer bestimmten Reihenfolge über sie gelegt werden dürfen. Wir sind heilfroh, dass der Teddy waschbar ist und wir davon ein zweites Exemplar haben. Denn so manche Nacht passiert das Malheur, dass der geliebte Teddy trotz vier übereinander getragener Windeln etwas abbekommt. Wie viel leichter wäre es in einem Bett! Denn dafür haben wir eine mit Kunstleder überzogene Matratze - extra gegen Durchnässen. Leider gibt es keine Teddys, die so ausgestattet sind, dass sie ausgelaufene Pippi abweisen - es sei denn, man würde ihnen ein Gummituch auf den kuscheligen Bauch nähen. Aber welches Kind möchte schon einen Teddy mit Gummibauch?
Es ist so niedlich, wenn sich eine 6-jährige abends selig und zufrieden hinlegt, weil "Teddyzeit" ist. Diese Wortschöpfung versteht sie und kann sie selber aussprechen - trotz ihrer sonstigen Sprachprobleme aufgrund ihres frühkindlichen Autismus.
Wenn Mama und Oma jetzt einmal ausnahmsweise zur "Teddyzeit" nicht da sind, lässt Helena Marie sich - vorausgesetzt, man stellt ihr ein Tablett mit einigen Besonderheiten mit ins Zimmer und kennt die Reihenfolge der Decken - auch von "Fremden" auf den Teddy und somit schlafen legen. 
Das ist ein riesiger Entwicklungsfortschritt für ein Kind mit frühkindlichem Autismus. Die Kleine hat sich innerhalb eines Jahres von selber von vielen Ritualen gelöst. Diese sind zwar durch andere ersetzt worden, jedoch meist durch wesentlich kürzere. Außerdem passt sie sich viel schneller neuen Situationen an oder nimmt gelegentlich auch etwas hin, was sich nicht ändern lässt. Das bedeutet für alle viel mehr Lebensqualität.    

Freitag, 22. Mai 2015

Das erste Mal am Meer – als Ersatz für den Kindergartenausflug

Liebe Leser!
Vorgestern war Kindergartenausflug in einen Zoo. Doch alle waren der Meinung, dass die 6-jährige Helena Marie, die frühkindlichen Autismus hat, es nicht schaffen würde, ohne Mama im Bus mitzufahren und die vielen Stunden im Zoo durchzuhalten. Denn wenn die Kleine plötzlich genug hat und überfordert ist von Eindrücken, sagt sie fertig oder „Auto“ und möchte sofort zurück. Ist dies dann nicht möglich, rastet sie aus, fängt an, sich auf den Boden zu werfen, zu schreien und lässt sich weder beruhigen noch von der Stelle bewegen. Das machte die Teilnahme an diesem Gemeinschaftsausflug mit Bus unmöglich, zumal der Zielort so weit lag, dass Mama nicht innerhalb kurzer Zeit da sein konnte, um ihren Schatz abzuholen.
Reizüberflutung und Überforderung sind bei typisch für Menschen mit Autismus und die Angehörigen von autistischen Kindern tun gut daran, diese von Situationen fernzuhalten, die unzumutbar sind.
In diesem Fall war es schade, weil Helena Marie sehr gerne in den Kindergarten geht und auch gerne mit den anderen Kindern zusammen ist, spielt, dabei sein will und Vieles nachahmt. Doch die Erzieherinnen konnten es aus verständlichen Gründen nicht gestatten, dass ein Kind die Mama mitnehmen durfte und die anderen nicht. 
Doch Helena Marie – die gar nicht mitbekommen hatte, dass ein Kindergartenausflug anstand und deshalb auch nichts vermisste - musste nicht bei schönem Wetter zu Hause spielen. Mama und ihr Partner, der sehr liebevoll mit der Kleinen umgeht und sich immer viel Nettes und Lustiges für sie einfallen lässt, haben Helena Marie ins Auto gepackt und sind mit ihr nach Norderney gefahren. Die Kleine fährt super gerne lange mit dem Auto; und die Fahrt mit der Fähre war sehr aufregend. Als sie die erste Möwe sah, rief sie laut „Flugzeug“, was freundliches Gelächter bei den anderen Passagieren hervor rief. Prompt bekam sie eine Stoffmöwe von Mama gekauft, die jetzt in ihrem Zimmer von der Decke herunter hängt. Zum Transport für den Proviant und das laufmüde Kind diente ein großer zusammenfaltbarer Bollerwagen, obwohl Helena Marie selber einen kleinen Bollerwagen mit Sandspielzeug bekommen hatte. Sie genoss die Sonne, den Wind, steckte die Füßchen kurz ins noch recht kalte Nordseewasser – nur die riesige Menge Sand am Strand beeindruckte sie wenig. Auf jeden Fall strahlte sie den ganzen Tag und schnatterte auf der Rückfahrt – trotz der fortgeschrittenen Zeit – während der gesamten Fahrt in ihrer eigenen Sprache, um von dem Erlebten zu erzählen und ihre Eindrücke abzubauen.
Schade, dass Helena Marie nicht in der Lage ist, im Kindergarten im Stuhlkreis von ihrem Ausflug zu berichten und auch nicht verstehen kann, was die anderen Kinder vom Zooausflug erzählen.
Trotzdem hat sie einen wunderschönen Tag erlebt. Niemand sollte meinen, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus nichts mitbekommen, nur weil sie mangels Sprachvermögens es nicht ausdrücken können. Sie nehmen sehr viel wahr – wenn auch anders als wir. Könnte sie beispielsweise einen Aufsatz über den Ausflug schreiben, so würde sie garantiert etwas völlig Anderes berichten als neurotypische Kinder, die Gleiches erlebt hätten. Aber das ist ein Thema für sich.     

Montag, 11. Mai 2015

Der erste wahrgenommene Geburtstag

Liebe Leser!
Ich hatte bereits mein Bedauern darüber geäußert, dass meine inzwischen 6-jährige Enkelin bisher nichts von der Bedeutung von Festen verstanden hatte. Sie ist nämlich nicht in der Lage, komplexere Erklärungen zu verstehen, weshalb sie auch noch nicht verbal kommunizieren kann.. Das liegt an ihrer Störung durch frühkindlichen Autismus.
Noch vor wenigen Monaten hat sie im Kindergarten dem Nikolaus die Tüte zurück gegeben. Den Martinszug mit den bunten Fackeln und den Liedern hat sie zwar mitgemacht, jedoch ohne jegliches Verständnis für die Mantelteilung. Von der Geburt des Jesuskindes zu erzählen, sie zu einem Krippenspiel mitzunehmen, ihr Geschenke unter einen Weihnachtsbaum zu legen -- alles das wäre völlig verständnislos an ihr vorüber gegangen.
Doch: Jetzt, zu ihrem 6. Geburtstag im Mai, hatten wir plötzlich den Eindruck, als sei sie so aufnahmefähig, dass sie bemerken würde, dass dies ein besonderer Tag sei, wenn er besonders hervor gehoben würde.  
Und wir wurden in unserer Vermutung nicht getäuscht. Ein paar Tage zuvor fingen wir an, ihr zu sagen, sie würde nun 6 Jahre alt und ständig wiederholte sie die Zahl "6". Irgendwie schien sie auch zu merken, dass Mama etwas vorbereitete (den Geburtstagskuchen backte), denn am Abend zuvor und am Geburtstagsmorgen war sie ungewöhnlich aufgeregt, was sich leider in Zornesausbrüchen bemerkbar machte. Doch spätestens, als wir sie zusammen mit Kuchen und Schokomaikäfern zum Kindergarten brachten, wurde ihr klar, dass dies ein besonderer Tag war. 
Leider konnten wir im Kindergarten nicht "Mäuschen spielen". Und da Helena Marie nichts erzählen kann, erfuhren wir auch nicht, wie dort ihr Geburtstag gefeiert wurde. Aber sie hatte dort bestimmt viel Spaß daran, im Mittelpunkt zu stehen -- obwohl sie Autistin ist.
Nachmittags allerdings war sie fast zu platt, um ihre Geschenke zu Hause auszupacken und die Kerze auf dem Kuchen auszublasen. Denn genau an diesem Tag hatten die "Schulkinder" des Kindergartens noch am Nachmittag die Feuerwehr besucht, was sehr aufregend war und fast zu viel an Reizen für ein autistisches Kind. Doch in der Nähe von Mama, die mitgehen durfte, hat sie alles mitgemacht: Wasser verspritzt, mit dem Feuerwehrauto gefahren, Helm aufgesetzt u.v.m..
Doch danach war die Kleine nicht mehr in der Lage, auch noch mit dem ferngesteuerten Feuerwehrauto zu spielen, das Mama ihr so liebevoll eingepackt hatte. Helena Marie liebt ferngesteuerte Autos - aber ihr Geburtstag war so randvoll und aufregend gewesen, dass sie nur (etwas abwesend) ein paar Runden - in ihrer eigenen Sprache schnatternd - durch den Garten drehte, um die vielen Reize zu verarbeiten.  
Doch wir hatten das Gefühl, dass der kleine Schatz verstanden hat, dass ihr Geburtstag ein besonderer Tag ist. Wie schön für uns, dass wir jetzt wissen, dass auch ein Kind mit frühkindlichem Autismus lernen kann, außergewöhnliche Feste im Jahr zu verstehen und sich an diesen zu erfreuen. 

Sonntag, 3. Mai 2015

Reizüberflutung - oder zuviel neue Eindrücke?

Liebe Leser!
Reizüberflutung ist ein großes Problem für Autisten. Lärm, viele Menschen, neue Umgebung, Veränderungen aller Art -- all das macht vielen Autisten sehr zu schaffen. Sie schotten sich ab oder schreien, weil die Reize ein Gewitter in ihrem Kopf verursachen oder ihnen Sicherheit nehmen und dadurch Angst erzeugen.
Meine 6-jährige Enkelin ist frühkindliche Autistin; doch sie und wir haben das Glück, dass sie diese Arten der Reizüberflutung offenbar gut verarbeiten kann. Es darf für sie laut und schnell werden, weshalb sie gerne auf eine Kirmes geht. Auch die vielen Menschen dort machen ihr keine Angst. Sie akzeptiert jeden Besuch im Haus, jede Art der Veränderung in der Wohnung und in ihrem Zimmer und betritt auch jedes fremde Haus ohne Zögerung. Das macht das Leben mit ihr in dieser Hinsicht leicht.
Wenn es aber darum geht, dass sie durch neue Reize zu viel Neues sieht, das hintereinander auf sie einprasselt, ohne dass sie Gelegenheit hat, es einzeln zu verarbeiten und Neues daraus zu lernen, wird es ihr zuviel und sie will weg.
Kompliziert?
Ich versuche, es zu erklären.
Kommt sie beispielsweise in eine neue Umgebung (z.B. in die Wohnung von Bekannten), so kann sie sich in Ruhe umschauen, Vieles anfassen, herumgehen, sich auf verschiedene Plätze setzen etc.). Manches aber auch erkennt sie wieder, weil es ähnlich ist wie zu Hause. So kann sie die neue Umgebung erkunden und die fremden Eindrücke in Ruhe verarbeiten. 
Nun wähle ich als Gegenbeispiel einen Zirkusbesuch. Dort prasselt eine aufregende und spektakuläre Nummer nach der anderen über einen sehr langen Zeitraum auf sie ein. Nach spätestens einer halben Stunde möchte sie weg. Das ist aus ihrer Sicht auch gut zu verstehen. In dieser kurzen Zeit hat sie bereits eine Pferdedressur, eine artistische Darstellung, einen Clownsauftritt und eine weitere Darbietung gesehen. Jetzt bräuchte sie viel Zeit, um diese zahlreichen Eindrücke zu verarbeiten. Während andere 6-jährige noch Tage nach der Vorstellung von den Albereien des Clowns erzählen, konnte meine Enkelin diese auf Grund ihres Autismus gar nicht verstehen. Denn es ist typisch für Autisten, dass sie (selbst wenn sie Sprache verstehen und selber sprechen) mit Anspielungen und Zweideutigkeiten nichts anfangen können. Die Clownsnummer hat sie somit schon überfordert. Wäre jedoch der Clownsauftritt nur eine von wenigen Darbietungen geblieben, so würde auch er einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. Denn vier Zuschauer wurden aufgefordert, in die Manege zu kommen, um auf "Befehl" des Clowns z. B. einen Hund zu spielen. Diese Szene würde sie bestimmt zu Hause umsetzen, wenn sie hinreichend Zeit zum Verarbeiten weniger Zirkusnummern bekommen hätte. 
Beim ersten Zirkusbesuch vor zwei Jahren sind wir nach der Pause auch gegangen.Jetzt -- nach so vielen Fortschritten in anderen Lebensbereichen -- wollten wir feststellen, wie viel mehr Spaß die Kleine nun an einem Zirkusbesuch hätte. Doch die Bilanz war recht ernüchternd. Wir dürfen das Kind nicht mit neuen Reizen überfordern.Dann geht der Schuss nach hinten los.
Erschwerend kommt hinzu, dass Helena Marie viele neue Eindrücke besser verarbeitet, wenn sie dabei in Bewegung ist. Im Zirkus musste sie mehr oder weniger still sitzen bleiben. Etliche Kinder mit (frühkindlichem) Autismus neigen dazu, ihre Reizüberflutung durch motorische Agitation abzubauen. Denn als die Kleine vor drei Wochen in einem Wildpark einen riesigen Spielplatz neu kennen lernte, war ihre Ausdauer wesentlich größer, bis sie von selber nach dem "Auto" verlangte -- also nach Hause wollte.   
Fazit: Wir werden in Zukunft vor einer Unternehmung genauer überlegen, was meiner Enkelin Freude macht, ohne sie zu überreizen. Somit kommt auch Kino noch lange nicht in Frage; es sei denn, man ist bereit, mitten im Film rauszugehen. 
Zum Thema Kino noch eine kleine Episode:
Vor zwei Jahren haben wir die Kleine auch einmal mit ins Kino genommen, obwohl sie damals noch gar keine Sprache verstand. Doch wir hofften, sie würde am Film "Findet Nemo" Spaß haben wegen der vielen bunten Fische und der eindrucksvollen Bilder. Doch weit gefehlt: Helena Marie verbrachte die ersten 20min damit, Mama mit Popcorn zu füttern. Die Leinwand interessierte sie gar nicht. Danach fing sie an, so laut zu singen, dass wir Hals über Kopf das Kino verließen, um uns nicht den Zorn der anderen Zuschauer zuzuziehen.    
   

Freitag, 17. April 2015

Die besondere Bezauberung späten Sprechenlernens

Liebe Leser!
Meist wird unterschwellig geklagt über das, was autistische Kinder nicht so können wie neurotypische. Ja, es ist manchmal schwierig, wenn eine fast 6-jährige nur ein paar Wörter spricht und längst auch nicht alles versteht, was man ihr gerne erklären möchte.
Aber warum sieht man es nicht auch aus einer anderen Perspektive?
Eine äußerlich normal entwickelte Sechsjährige, die vor Lebensfreude sprüht, versucht fleißig, Wort für Wort hinzu zu lernen. Das macht uns einerseits enorm stolz; andererseits klingt es genau so niedlich, holprich und noch teilweise leicht verunglückt wie bei einem Kleinkind, das im zweiten Lebensjahr die ersten Sprechversuche wagt. Manche Wörter gelingen nur so, dass wir erst nach mehrfachem Wiederholen verstanden haben, was unser Schatz meint. Da wissen wir leider nicht, warum richtiges Nachsprechen einfach nicht klappen will. Während "Brötchen" klingt wie "Pirpchi", "Flugzeug wie "Fuuße", und "trocken" wie "tromm", gelingen "tschüss", "Flasche", "Löffel", "Katze" u.v.a. richtig gut. Mit ihrem Wortschatz, der inzwischen auf ca. 80 Wörter angestiegen ist, kann sich Helena Marie erstaunlich gut verständigen. Sie neigt nicht zu Echolalien, die oft bei frühkindlichen Autisten auftreten. Sie spricht also nicht nur Gehörtes einfach nach, ohne den Sinn zu verstehen. Die Wörter, die sie kann, setzt sie sehr gezielt in der jeweiligen Situation ein, weshalb ein einziges Wort durchaus einen langen Satz ersetzen kann.   
Fahren wir eine Tankstelle an, so erklingt sofort ein "Pirpchi", was soviel heißt wie: Wenn gleich bezahlt wird, möchte und bekomme ich ein trockenes Brötchen. 
Das "Tschüss" meiner Enkelin hat gleich mehrere Bedeutungen: Beim eigenen Verabschieden, beim Verabschieden von Besuch, aber auch, um jemandem massiv zu bedeuten, er möge jetzt gehen und sie in Ruhe lassen. Nicht nur deshalb heißt es auch so viel wie "gute Nacht". 
"Fuuße" (Flugzeug) kommt dann, wenn sie das Puzzle mit den Flugzeugmotiven machen möchte. Zeigt sie auf ihr Unterärmchen und sagt "kalt", so bedeutet dies, dass sie zusätzlich etwas Langärmliges anziehen wird, weil ein kurzärmliges T-Shirt allein zu kalt ist.
Bei einigen Buchstaben wissen wir nicht, ob sie diese nicht richtig hört oder nicht sprechen kann. Diesbezüglich werden wir Fachleute befragen. Das "b" macht ihr z.B. Probleme. Statt "gelb" sagt sie "geld", statt "sieben", "sieden". "W", "r" und "h" sind in vielen Kombinationen auch nicht gut auszusprechen und allerliebst frühkindlich klingen "dimdom" statt "dingdong" und "paputt" statt "kaputt", so dass man in Versuchung ist, das fast zu übernehmen.
Letztgenanntes ist eben das Phänomen, das nur denjenigen vergönnt ist, die ein Kind haben, das so spät das Sprechen lernt: Die Kombination aus der Niedlichkeit frühkindlicher Sprechversuche und etwas verunglückter Eigenheimer und dem Vorteil, eine robuste 6-jährige vor sich zu haben, die trotz ihrer autistisch bedingten Entwicklungsverzögerung in manchen Bereichen viel reifer ist als ein Kleinkind.
Diese Phasenverschiebung ist durchaus eine interessante und gleichzeitig emotionale Bereicherung. Über jedes neue Wort, das - wie auch immer geartet - so verzögert über die Lippen eines autistischen Kindes kommt, herrscht einfach noch viel mehr Freude als wenn ein Kleinkind zur passenden Zeit seine ersten Wörter spricht. 
Doch würden wir unheimlich gerne wissen, wie sich Sprache bei Kindern mit frühkindlichem Autismus entwickelt - oder auch nicht. Manche lernen leider nie sprechen, manche lernen es gut, manche lernen nur einige Wörter, manche sprechen nur sehr undeutlich - es gibt zahllose Varianten. Wahrscheinlich so viele, wie es frühkindliche Autisten gibt.