Autismusshirt

Autismusshirt

Mittwoch, 28. Dezember 2016

Nikolaus war dieses Jahr der Renner

Vor zwei Jahren, als meine damals 5-jährige Enkelin erstmals den Nikolaus im Kindergarten erlebte, war das eher ein Trauerspiel. Sie, die frühkindlichen Autismus hat und deshalb auch erst seit wenigen Wochen in den heilpädagogischen Kindergarten gehen konnte, verstand nicht, was dieser Mann mit dem roten Mantel, dem weißen Bart, der roten Mütze und dem langen Stab dort eigentlich wollte. Unser kleiner Schatz war zu der Zeit noch nicht in der Lage, die Erzählungen der Erzieherinnen und der Kinder über den heiß ersehnten himmlischen und heiligen Mann zu verstehen. Als er dann endlich kam und den aufgeregten Kindern die Hand gab und jedem einen gefüllten Stiefel, war Marie völlig verwirrt. Doch irgendwann war auch sie an der Reihe – aber was tat sie? Sie gab dem Nikolaus zum Erstaunen der anderen Kinder ihren Stiefel einfach wieder zurück, weil sie nichts damit anzufangen wusste. So etwas hatten der Nikolaus und die Erzieherinnen auch noch nie erlebt, die sich das Grinsen kaum verkneifen konnten.
Im Jahr darauf in der Schule, hinterließ er auch noch keinen nennenswerten Eindruck bei ihr und vor dem zu Hause erscheinenden Nikolaus, der zu allen Kindern im Dorf kam und von uns in den Jahren zuvor immer abbestellt worden war, nahm sie reißaus.

ABER: In diesem Jahr, in dem die Kleine sich wunderbar entwickelt hat, fast alles versteht und selber schon Einiges sprechen kann, war Nikolaus der Renner. Sie freute sich riesig über jede Gelegenheit, ihm zu begegnen, so dass wir auch ganz viele Veranstaltungen wahrnahmen, bei denen unser autistisches Engelchen ihm die Hand geben und ein kleines Geschenk entgegennehmen konnte. Uns ging richtig das Herz auf, wenn sie bei seinem Anblick von einem Ohr bis zum anderen strahlte. Die Nikolausmütze mit blinkenden Sternchen, die sie auf dem Weihnachtsmarkt bekam, wollte sie gar nicht mehr vom Kopf ziehen, so sehr freute sie sich darüber. Wir selber freuen uns, dass unser Schatz erstmals ein Fest, eine damit verbundene Person, ein Brauchtum bewusst wahrgenommen hat, ohne natürlich die Hintergrundgeschichte zur Verehrung des Heiligen zu verstehen. Aber welches Kind kann das schon, welcher Erwachsene kennt die überhaupt?   

Montag, 3. Oktober 2016

Ein richtiges kleines Mädchen

Dank der richtigen Diät (ohne Milcheiweiß, Gluten und Histamin) entwickelt sich meine 7-jährige Enkelin, die frühkindlichen Autismus hat, inzwischen in großen Schritten. Autismus ist definiert als tiefgreifende Entwicklungsstörung und deshalb ist die Kleine noch weit hinter Gleichaltrigen zurück – aber sie holt auf. Inzwischen kann sie erste kleine Sätze sprechen, auf Dinge warten, Absprachen und Entscheidungen treffen. Das war vor 2 Jahren noch undenkbar; davon konnten wir nicht einmal träumen.
Marie schwärmt für Peppa Pig und Freunde, die kleinen Schweinchen einer englischen Kinderserie, liebt Überraschungseier, auch wenn sie die Schokolade niemals essen kann, mag Minions, geht super gerne in den Zoos und am liebsten fährt sie Karussell auf der Kirmes. Vor allen Dingen aber entscheidet sie selber, was sie anziehen möchte; sie macht sich gerne chic, bevorzugt die Farben weiß und gelb und Peppa-Pig-Motive und neuerdings trägt sie gerne süße Stoffhütchen. 
Vor zwei Wochen hat sie ihre Liebe zu Ponys entdeckt und wartet nun auf jeden Sonntag, wenn es zum Ponyreiten geht. Stolz sitzt sie dann in ihrer quietschgelben Reithose auf ihrem Lieblingspony, das zwar cremefarben ist, von ihr jedoch als weiß bezeichnet wird.
Weil ihre Freundin in der Förderschule vor kurzem rote Finger- und Fußnägel hatte, mussten auch wir roten Nagellack kaufen. Bis dahin durfte niemand an ihre Fußnägel, weder zum Säubern noch zum Schneiden. Marie war extrem empfindlich an ihren Füßen und wehrte sich heftigst, wenn man versuchte, mit allen Versprechungen ihr die Pflege der Fußnägel abzuringen. Auf einmal geht es: Sie lässt sie – wenn auch immer noch ungern - schneiden und säubern und lackieren. Sie schafft es, Unangenehmes zu überwinden, um etwas Schönes – nämlich die roten Fußnägel – dafür zu bekommen. Das ist für eine Autistin eine enorme Leistung. Darauf sind wir sehr stolz.
Marie hat jetzt sehr oft so „normale“ Wünsche – wie ein richtiges kleines Mädchen. Das ist für uns noch sehr ungewohnt, freut uns aber über alle Maßen.


Sonntag, 21. August 2016

Darm und Gehirn - Nahrungsmittelunverträglichkeiten und Autismus

Es gibt Kinder mit Autismus, die unter dem Leaky-Gut-Syndrom (poröser Darm) leiden, die kein Milcheiweiß und kein Gluten vertragen. Das ist bei meiner Enkelin der Fall, die die Diagnose „Frühkindlicher Autismus“ hat. Diese Lebensmittel werden zu Giftstoffen, die als Opiate im Gehirn erhebliche Schäden anrichten und die autistische Symptomatik auslösen.  Hinzu kommt noch, dass der schwer geschädigte Darm wichtige Vitamine und Mineralien nicht verwerten kann, so dass der Kleinen auch gesunde Speisen dem Körper keine wertvollen Stoffe liefern.
Als wir aufgrund eines Tipps vor gut 2 Jahren das Milcheiweiß wegließen, konnten wir bereits nach wenigen Tagen eine positive Veränderung im Verhalten meiner Enkelin feststellen. Das Kind war erstmals fähig zu ersten Blickkontakten, wurde Tag für Tag aufmerksamer und nach und nach kamen erste Wörter hinzu, die sie sprechen lernte. Der kleine Schatz fing an, Schmuseeinheiten anzufordern, unsere Tiere zu registrieren und sich dafür zu interessieren; sie war bereit, „über den Tellerrand hinaus zu schauen“, denn Helena Marie war tatsächlich bereit, auch einmal etwas anderes zu probieren als ihre ganz wenigen eingeschränkten breiigen Speisen. Sie nutzte erstmals ihre Zähne zum Kauen eines Brötchens, aß erstmals etwas Warmes (Pommes) und nach und nach auch mal Fleisch, schließlich auch Kartoffeln und Nudeln. Auf einmal hatte sie Freude an anderen Kindern, machte ihnen Vieles nach, wodurch sie gleichzeitig viel lernen konnte. Auch ihre Körperwahrnehmung besserte sich dahingehend, dass sie wenigstens ein wenig Schmerz spürte und Kälte von Wärme unterscheiden konnte. Inzwischen ist ihr Sprachverständnis auch so umfangreich, dass Absprachen mit ihr möglich sind, sie kleine Entscheidungen treffen und sich an einfache Regeln halten kann.
Seitdem wir nun auch jetzt, da sie sieben Jahre alt ist, seit ca. 6 Wochen das Gluten aus ihrem Speiseplan heraus genommen haben, gehen die Fortschritte noch deutlicher voran. Helena Marie spricht nun täglich oftmals ganze Sätze, erlernt täglich etliche neue Wörter hinzu, ist oft sehr kooperativ, bekommt fast alles mit, ist extrem anhänglich, hat klare Wünsche und Vorstellungen, kann kleine Zeiträume überblicken und auf Ereignisse zu bestimmten Uhrzeiten oder an bestimmten Tagen geduldig warten – sie ist ein ganz anderes Kind geworden. Unser Sonnenschein hat ganz viele ihrer schwer autistischen Symptome abgelegt, liebt Rummel und Geselligkeit; wir können sie ohne Bedenken ein paar Minuten ohne Aufsicht im Haus allein lassen, wenn wir im Garten sind oder umgekehrt ohne befürchten zu müssen, dass sie sich selber gefährdet. In der Schule und auf Ausflügen ist sie schon zuverlässig trocken und erledigt schon kleine Aufgaben selbstständig.

Als wir die Diagnose „Frühkindlicher Autismus“ bereits bekamen, als Helena Marie noch keine drei Jahre alt war, weil sie fast alle Symptome in aller Deutlichkeit zeigte, hätten wir uns nie träumen lassen, dass sie mit sieben Jahren solche Fortschritte gemacht hat. Doch ohne diese cfgf-Diät (casein- und glutenfreie Diät) hätte sie das alles nicht lernen können. Sie befände sich immer noch in dem Dämmerzustand – ausgelöst durch den durch die Darmgiftstoffe ausgelösten Opiumschleier im Kopf – und könnte ihr Umfeld und sich selber nicht so deutlich wahrnehmen und adäquat reagieren und hinzulernen. Gott sei Dank sind wir auf diese mögliche Ursache für Autismus aufmerksam gemacht worden und jetzt in guten ärztlichen Händen. Aber leider sind noch viel zu viele Familien mit autistischen Kindern nicht darüber informiert, dass Nahrungsmittelunverträglichkeiten Autismus verursachen können und die richtige Diät autistische Symptome lindern kann.        

Mittwoch, 13. Juli 2016

AUFRUF

AUFRUF
Ich plane, ein neues Buch über Autismus zu schreiben, das eine Hilfe sein soll für Familien, die ein (kleines) Kind haben mit Auffälligkeiten, die sie selber nicht zuordnen können und die auch keine deutlichen Hinweise seitens des Kinderarztes erhalten.
Ich suche Familien, die bereit sind, ihre Geschichte zu erzählen: Wann und wie sie gemerkt oder erfahren haben, dass ihr Kind autistisch ist. Oft ist das ein langer und steiniger Weg gewesen und jeder Weg bis hin zur endgültigen Diagnose ist garantiert anders verlaufen.
Alle Geschichten werden streng vertraulich behandelt, die Namen verändert und vor der Veröffentlichung des Buches müsste jede Familie, die ihre Geschichte preis gibt, ihr schriftliches „OK“ geben.
Der Rein-Erlös aus dem Verkauf des Buches würde in die Kasse des gemeinnütziges Vereins „Autistische Welt e.V.“ fließen.
Wer Interesse an dem Buchprojekt hat, möge mir bitte eine Email schreiben unter:
Um einen Vorgeschmack zu bekommen, wie ein Kapitel aus einer Geschichte aussehen könnte, kann dies unter der Leseprobe aus meinem Buch „Fanti, das kleine Schlitzohr – Leben mit einem autistischen Kleinkind“, das 2014 im Tiponi-Verlag erschienen ist, nachlesen (Link zur Leseprobe: Am Ende des Textes).
Allerdings soll es nicht bei den wenigen Zeilen bleiben. Auch ich beschreibe in oben genanntem Buch in weiteren Kapiteln, dass das in der Leseprobe erzählte Schlüsselerlebnis nur den Ausschlag gegeben hat, das Rad der Diagnostik in Bewegung zu setzen. Viele kleine Auffälligkeiten in den Jahren zuvor haben im Nachhinein das Gesamtbild abgerundet.
Doch keine Angst: Ich würde den Interessenten einen Fragebogen als Hilfestellung an die Hand geben, damit auch möglichst nichts vergessen wird. Sie brauchen auch keine schriftstellerischen Fähigkeiten zu haben. Knappe Stichwortsätze würden vollkommen ausreichen. 

Hier die Leseprobe:
Der Tag, der alles veränderte
Meine Tochter hatte ausnahmsweise eine Reitstunde am frühen Nachmittag. Ich selber kam gerade von einer längeren Verpflichtung und es reichte zeitlich nicht mehr, dass meine Tochter mir zu Hause Marie zur Aufsicht übergab. Also verabredeten wir uns am Reitstall, wo ich die Kleine übernehmen sollte. Wir kamen zeitgleich an und parkten die Autos nebeneinander. Was erwartet eine Oma von ihrer fast zweijährigen Enkelin, mit der sie zusammen im Haus lebt, wenn die Kleine aus dem Autositz gehoben wird und die Oma mit offenen Armen daneben steht? Was würden Sie von Ihrem Familienhund erwarten? Dass er freudig auf Sie zuläuft, heftig mit dem Schwanz wedelt und Sie anspringt – wenn Sie es ihm nicht unter den strengen Augen von Hundetrainern aberzogen haben -. Was aber passierte damals mit Marie? Meine Tochter stellte sie neben das Auto. Marie schaute völlig abwesend durch mich hindurch, drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf die nächste Weide. Sie sah sich weder nach ihrer Mutter noch nach mir um, reagierte auf keinerlei Rufen. Wir schienen für sie überhaupt nicht zu existieren. Ich hatte jahrelang Psychologie unterrichtet und mir schoss in dem Moment nur ein Gedanke in den Kopf! < Autismus! > Es traf mich wie ein Schlag. Diese Sekunde stellte das zentrale Schlüsselerlebnis dar und den Wendepunkt in unserem Leben zu dritt. Was sollte nun werden? 





Samstag, 28. Mai 2016

So viel Selbstbewusstsein!

Auf der Rückfahrt von der Logopädie hatte Helena Marie im Vorbeifahren das Kinderkarussell mit einem Blick erspäht, das anlässlich des Stadtfestes aufgebaut worden war. Seitdem ließ sie ihrer Mama keine Ruhe mehr. Den ganzen Abend und den nächsten Vormittag sprach sie – soweit sie als frühkindliche Autistin dazu in der Lage ist – davon, auf das „Kreisel“ zu gehen mit „Fisch, Feuerwehrauto und Pferd“. Karussell ist ein zu schweres Wort, das Helena Marie allerdings stets auch körperlich erklärt durch minutenlanges Drehen im Kreis, ohne dabei schwindelig zu werden. Den Delphin, das Feuerwehrauto und das Pferd hatte sie als Figuren auf dem Karussell im Vorbeifahren entdeckt.
So blieb Mama am Samstagmittag nichts anderes übrig, als mit Töchterchen in die Stadt zu fahren, zumal ein dringender Schuh-Neukauf anstand. Doch von neuen Schuhen wollte die Kleine zunächst gar nichts wissen. Nach einigen Versprechungen ließ sie sich jedoch in den Schuhladen bewegen und fand einen neongelben Schuh, der ihr sehr gut gefiel. Doch – es war nur einer – der rechte! Einem autistischen Kind ist es absolut nicht klar zu machen, dass im Schuhregal immer nur 1 Schuh jeder Art steht und der 2. an der Kasse beim Bezahlen hinzugefügt wird. Gott sei Dank gab es diese Sorte Schuhe noch einmal in neongrün, je einen rechten in ihrer Größe und einen rechten eine Nummer größer. So hatte Helena Marie zwei gleiche Schuhe, mit denen sie zur Kasse gehen konnte. Dort musste Mama nun der Kassiererin erklären, dass sie nicht 2 Paar neongrüne Schuhe kaufen wollte sondern nur das eine kleinere Paar. Diese verstand irgendwann und stellte das richtige Paar zusammen.
Nach dem Schuhkauf mussten es erst einmal Pommes sein; denn der Schuhladen liegt gegenüber einem Imbiss, wo die Kleine früher schon mehrfach Pommes bekommen hatte. Was sonst so war, musste jetzt auch wieder so sein – das ist bei Autisten nun mal so!
Während Helena Marie an einem Tisch, der vor dem Imbiss auf dem Bürgersteig aufgestellt war, eine Pommes nach der anderen in sich hinein schob, obwohl sie mittags eigentlich schon hinreichend gegessen hatte, fragte Mama sie: “Na, schmecken die Pommes?“ Die Kleine hielt inne, überlegte kurz, sagte ein klares „Nein“, packte die restlichen Pommes zusammen und warf sie kurzer Hand in den nächsten Mülleimer. Mama ist ja schon die Blicke anderer Leute gewohnt, die mal wieder bemerkenswert waren angesichts dieser Aktion.
Dann ging es endlich zum heiß ersehnten Karussell. Inzwischen ist extremer Stress vermeidbar, wenn man vorher mit Helena klare Absprachen trifft. Mama kaufte eine Karte mit 8 Fahrten für 10,00€ - teuer genug; aber jede einzelne Fahrt hätte 2,00€ gekostet. Nach Beendigung jeder Fahrt muss man deutlich sagen: „Jetzt noch 7 Fahrten, jetzt noch 6 Fahrten, … jetzt kommt die allerletzte Fahrt“. Nur dann gibt es eine Chance, ohne riesiges Geschrei und körperlichen „Gewalteinsatz“ (der nicht möglich, aber auch niemals gewollt ist), Helena wieder vom Karussell weg zu bekommen.
Damit jedoch war der etwas teure Stadtbummel noch nicht beendet. Denn in unserer Kleinstadt kennt sich die Kleine auf der kurzen Fußgängerzone sehr gut aus. Zielstrebig steuerte sie Ernstings family an, wo die T-Shirts draußen auf der Stange hingen. Helena Marie liebt shoppen und neue Klamotten. Bevor Mama sich versehen hatte, hatte unser Sonnenschein ein T-Shirt für sich entdeckt, von der Stange genommen und zog ihre Mama mit den Worten: „T-Shirt kaufen“ in den Laden. Die lange Warteschlange an der Kasse machte die Kleine sich noch zunutze, sich noch ein Cappy auszusuchen. Darüber war Mama eigentlich nicht böse. Denn dieses zieht Helena bei Sonne wenigstens freiwillig auf den Kopf, während sie ansonsten alle anderen Kopfbedeckungen rigoros ablehnt.
Fazit: Alles in allem war der Ausflug in die Stadt zwar etwas teurer als geplant und für Mama ziemlich anstrengend, weil sie ständig damit rechnen muss, dass Helena völlig ausrastet und dann nicht mehr händelbar ist (schon gar nicht allein), wenn es ihr auf einmal zu viel wird an Eindrücken (oder man ihr Wünsche ablehnt). Andererseits ist es so schön zu sehen, wie selbstbewusst dieses autistische Kind zeigt und sagt(!!), was es möchte. Wir alle sind ganz stolz auf unseren „autistischen Engel“!



Der 7. Geburtstag – Ein besonderes Ereignis

Helena Maries 7. Geburtstag war für sie, die frühkindliche Autistin, etwas ganz Besonderes. Denn zum 1. Mal nahm sie dieses Ereignis bewusst wahr, was auch für die ganze Familie eine große Freude war. Schon einige Tage zuvor konnten wir – Mama und ich als Oma – ihr von diesem Tag erzählen. Ihre Augen leuchteten und sie brachte trotz ihrer Sprachprobleme zum Ausdruck, dass sie sich auf Geschenke freue (besonders auf „Schokoeier“ – damit sind Überraschungseier gemeint – und „Socken“, die sie sehr schätzt) und auf die „goldene Krone“, mit der die Geburtstagskinder in der Förderschule geschmückt werden. Denn trotz ihres Autismus liebt es unser Sonnenschein sehr, im Mittelpunkt zu stehen. 
Somit wurde der Geburtstag von Helena Marie mit Spannung erwartet. Noch kurze Zeit zuvor hätten wir uns das nicht vorstellen können. Alle bisherigen Feste waren bis dahin ohne Reaktion an ihr vorüber gegangen. Ob Weihnachten oder Nikolaus, dem sie noch ein Jahr zuvor im Kindergarten den gefüllten Strumpf wieder zurück gegeben hatte, weil sie damit nichts anzufangen wusste – nie konnten wir ihr die Besonderheiten bestimmter Festtage erklären und diese auch entsprechend gestalten.
Doch jetzt hat Helena Marie einen Entwicklungsstand erreicht, so dass sie versteht, dass es besondere Tage gibt, die auch für sie besonders schön gestaltet werden. Deshalb hatte sich die Mama auch ganz viel Mühe gegeben:
In der Küche hing eine Girlande mit Fähnchen mit Peppa-Pig-Motiven, weil unser kleiner Schatz Peppa-Pig über alles liebt; Tischdecke, Pappgeschirr, Luftballons, Servietten, die Verzierung des Geburtstagskuchens, die Tütchen, in denen sie den Mitschülern Leckereien mit in die Schule brachte – alles trug Peppa-Pig-Motive.
Auch Minions sind im Rennen; deshalb tragen die neuen Socken Minions-Motive.
Helena Marie schwärmt auch noch für „gelbe Elefanten“. Deshalb gab es zusätzlich einen wunderschönen neuen Rucksack für das Schwimmzeug für die Schule mit einem großen gelben Elefanten.
Das Stofftier „gelber Elefant“ hatte sich leider etwas verspätet. Weil die Spielzeugläden mangels Nachfrage zwar Elefanten, aber keine gelben führten, musste Mama „Ebay“ bemühen. Eine sehr nette ältere Dame hatte noch einen in Originalverpackung, den sie zusammen mit einem liebevollen Brief und weiteren kleinen gelben Elefanten zuschickte. So konnte sich Helena Marie noch ein paar Tage nach ihrem Geburtstag über ihren gelben Elefanten freuen, der aktuell ihr ständiger Begleiter ist.
Weil Helena Marie endlich fähig ist, trotz oder wegen ihres frühkindlichen Autismus und der damit verbundenen Entwicklungsstörungen Fahrrad zu fahren, habe ich ihr als Oma zu ihrem 7. Geburtstag ein kleines Fahrrad mit Stützrädern gekauft. Die Pflegekasse hätte wohl kein „Dreirad“ genehmigt, weil wir gerade einen besonderen Autositz beantragt hatten, in dem die Kleine endlich mal wieder sicher mitgenommen werden konnte. Bei den im Handel üblichen Kindersitzen schnallt sie sich gerne los, was lebensgefährlich ist für sie und denjenigen, der fährt. Denn dann klettert sie auch schon mal nach vorne, möchte beim Fahrenden auf den Schoß oder mitlenken.
Über das Fahrrad war die Freude sehr groß und die hat in Mamas Begleitung sofort eine recht lange Fahrt unternommen. Gott sei Dank ist unser kleiner Schatz im wahrsten Sinne des Wortes „schmerzfrei“. Wer weiß nicht, wie weh die Beine und besonders der Popo tun, wenn man ungeübt sofort eine „Mammuttour“ macht? Doch Helena Marie spürt so etwas nicht, so dass sie seitdem täglich ihr Fahrrad benutzt.
Doch ihre schönste Fahrt ist die zu Edeka: Jeden Nachmittag möchte sie sich, sobald sie aus der Förderschule zurück ist, auf ihr Rädchen schwingen und in Mamas Begleitung zum Edeka ins Dorf fahren. Aber nur mit dem einen Hintergedanken: Dort darf sie sich dann ein „Schokoei“ (Überraschungsei) und einen ihrer heiß geliebten Berliner Ballen kaufen.
Alles in allem: Der 7. Geburtstag und seine Folgen sind für unseren Sonnenschein ein großes Vergnügen. Deshalb würde sie am liebsten inzwischen jeden Tag Geburtstag haben. Ihre goldene Krone aus der Schule hält sie in Ehren und hat sie auch dem Opa aufgesetzt, als dieser wenige Tage später Geburtstag hatte.   





Samstag, 13. Februar 2016

Psychotherapeutische Hilfe für Mütter

Endlich!
Das heiß ersehnte Kind ist da.
Die ganze Liebe der Mutter konzentriert sich auf dieses kleine, hilflose Wesen.
Sie möchte es beim Stillen fest an ihren Körper drücken, beim Baden und Wickeln streicheln, beim Schreien hochheben und trösten.
Doch: Ihr Kind ist anders. Es schreit bei Berührungen, es will nicht gestillt werden, es wehrt ab, wenn es auf den Arm genommen wird. Nach mehreren Monaten kommt kein Lächeln zurück, wenn die Mama es anlächelt - es guckt vorbei. Es reckt der Mutter nicht die Ärmchen entgegen, um aus dem Bettchen gehoben zu werden. Es liegt ruhig und teilnahmslos da oder spielt versunken mit den eigenen Fingerchen oder einem kleinen Spielzeug. Oder es schreit und schreit und schreit, ohne dass Ärzte eine Ursache finden können.
Sie sind verzweifelt, suchen die Schuld bei sich, zweifeln an Ihren Fähigkeiten als Mutter. Sie fragen sich, warum Ihr Kind Sie ablehnt. Langsam, im Laufe des zweiten Lebensjahres merken Sie, dass das Kind sich zwar motorisch normal entwickelt, jedoch keine Anstalten macht zu brabbeln, weiterhin keinen Kontakt zu Ihnen aufnimmt, auf nichts zeigt, sich kaum für sein Umfeld interessiert und Spielzeug nur sehr eingeschränkt benutzt.
So haben Sie sich das Muttersein, das Leben mit einem Säugling und Kleinkind nicht vorgestellt. Sie fühlen sich als Versager, weil sich zwischen Ihnen und Ihrem Kind keine Bindung aufgebaut hat.


Viele Mütter können diese Besonderheiten so früh gar nicht bewusst reflektieren.
Hier ein Zitat aus meinem Buch:
"Fanti, das kleine Schlitzohr, Leben mit einem autistischen Kleinkind"
http://www.tiponi-verlag.de/leseprobe-ilse-gretenkord/


Meine Tochter hatte ausnahmsweise eine Reitstunde am frühen Nachmittag. Ich selber kam gerade von einer längeren Verpflichtung und es reichte zeitlich nicht mehr, dass meine Tochter mir zu Hause Marie zur Aufsicht übergab. Also verabredeten wir uns am Reitstall, wo ich die Kleine übernehmen sollte. Wir kamen zeitgleich an und parkten die Autos nebeneinander.
Was erwartet eine Oma von ihrer fast zweijährigen Enkelin, mit der sie zusammen im Haus lebt, wenn die Kleine aus dem Autositz gehoben wird und die Oma mit offenen Armen daneben steht?
Was würden Sie von Ihrem Familienhund erwarten?
Dass er freudig auf Sie zuläuft, heftig mit dem Schwanz wedelt und Sie anspringt – wenn Sie es ihm nicht unter den strengen Augen von Hundetrainern aberzogen haben -.
Was aber passierte damals mit Marie? Meine Tochter stellte sie neben das Auto. Marie schaute völlig abwesend durch mich hindurch, drehte sich auf dem Absatz um und rannte auf die nächste Weide.  Sie sah sich weder nach ihrer Mutter noch nach mir um, reagierte auf keinerlei Rufen. Wir schienen für sie überhaupt nicht zu existieren.
Ich hatte jahrelang Psychologie unterrichtet und mir schoss in dem Moment nur ein Gedanke in den Kopf! < Autismus! >
Es traf mich wie ein Schlag. Diese Sekunde stellte das zentrale Schlüsselerlebnis dar und den Wendepunkt in unserem Leben zu dritt.
Was sollte nun werden?

Die offizielle Diagnose ließ dann gar nicht so lange auf sich warten. Eigentlich hätte das reichen müssen, um zu beweisen, dass die fehlende Bindung zwischen Mutter und Kind in keiner Weise auf ein Fehlverhalten der Mutter zurückzuführen ist und jegliche Schuldgefühle hier keinen Platz haben.
Trotzdem: Das Wichtigste, die emotionale Bindung des Kindes an die Mutter, hat nicht stattgefunden. Und obwohl Mütter, die ein autistisches Kind haben, dieses von ganzem Herzen lieben, bleibt bei ihnen ein großes Loch. Sie haben eine tiefe Frustration erlebt, die therapeutisch aufgearbeitet werden muss, damit sie nicht ein Leben lang darunter leiden. Doch darauf ist noch niemand gekommen. Den Kindern wird therapeutisch geholfen  - den Müttern wird keine Hilfe angeboten.