Autismusshirt

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Freitag, 17. April 2015

Die besondere Bezauberung späten Sprechenlernens

Liebe Leser!
Meist wird unterschwellig geklagt über das, was autistische Kinder nicht so können wie neurotypische. Ja, es ist manchmal schwierig, wenn eine fast 6-jährige nur ein paar Wörter spricht und längst auch nicht alles versteht, was man ihr gerne erklären möchte.
Aber warum sieht man es nicht auch aus einer anderen Perspektive?
Eine äußerlich normal entwickelte Sechsjährige, die vor Lebensfreude sprüht, versucht fleißig, Wort für Wort hinzu zu lernen. Das macht uns einerseits enorm stolz; andererseits klingt es genau so niedlich, holprich und noch teilweise leicht verunglückt wie bei einem Kleinkind, das im zweiten Lebensjahr die ersten Sprechversuche wagt. Manche Wörter gelingen nur so, dass wir erst nach mehrfachem Wiederholen verstanden haben, was unser Schatz meint. Da wissen wir leider nicht, warum richtiges Nachsprechen einfach nicht klappen will. Während "Brötchen" klingt wie "Pirpchi", "Flugzeug wie "Fuuße", und "trocken" wie "tromm", gelingen "tschüss", "Flasche", "Löffel", "Katze" u.v.a. richtig gut. Mit ihrem Wortschatz, der inzwischen auf ca. 80 Wörter angestiegen ist, kann sich Helena Marie erstaunlich gut verständigen. Sie neigt nicht zu Echolalien, die oft bei frühkindlichen Autisten auftreten. Sie spricht also nicht nur Gehörtes einfach nach, ohne den Sinn zu verstehen. Die Wörter, die sie kann, setzt sie sehr gezielt in der jeweiligen Situation ein, weshalb ein einziges Wort durchaus einen langen Satz ersetzen kann.   
Fahren wir eine Tankstelle an, so erklingt sofort ein "Pirpchi", was soviel heißt wie: Wenn gleich bezahlt wird, möchte und bekomme ich ein trockenes Brötchen. 
Das "Tschüss" meiner Enkelin hat gleich mehrere Bedeutungen: Beim eigenen Verabschieden, beim Verabschieden von Besuch, aber auch, um jemandem massiv zu bedeuten, er möge jetzt gehen und sie in Ruhe lassen. Nicht nur deshalb heißt es auch so viel wie "gute Nacht". 
"Fuuße" (Flugzeug) kommt dann, wenn sie das Puzzle mit den Flugzeugmotiven machen möchte. Zeigt sie auf ihr Unterärmchen und sagt "kalt", so bedeutet dies, dass sie zusätzlich etwas Langärmliges anziehen wird, weil ein kurzärmliges T-Shirt allein zu kalt ist.
Bei einigen Buchstaben wissen wir nicht, ob sie diese nicht richtig hört oder nicht sprechen kann. Diesbezüglich werden wir Fachleute befragen. Das "b" macht ihr z.B. Probleme. Statt "gelb" sagt sie "geld", statt "sieben", "sieden". "W", "r" und "h" sind in vielen Kombinationen auch nicht gut auszusprechen und allerliebst frühkindlich klingen "dimdom" statt "dingdong" und "paputt" statt "kaputt", so dass man in Versuchung ist, das fast zu übernehmen.
Letztgenanntes ist eben das Phänomen, das nur denjenigen vergönnt ist, die ein Kind haben, das so spät das Sprechen lernt: Die Kombination aus der Niedlichkeit frühkindlicher Sprechversuche und etwas verunglückter Eigenheimer und dem Vorteil, eine robuste 6-jährige vor sich zu haben, die trotz ihrer autistisch bedingten Entwicklungsverzögerung in manchen Bereichen viel reifer ist als ein Kleinkind.
Diese Phasenverschiebung ist durchaus eine interessante und gleichzeitig emotionale Bereicherung. Über jedes neue Wort, das - wie auch immer geartet - so verzögert über die Lippen eines autistischen Kindes kommt, herrscht einfach noch viel mehr Freude als wenn ein Kleinkind zur passenden Zeit seine ersten Wörter spricht. 
Doch würden wir unheimlich gerne wissen, wie sich Sprache bei Kindern mit frühkindlichem Autismus entwickelt - oder auch nicht. Manche lernen leider nie sprechen, manche lernen es gut, manche lernen nur einige Wörter, manche sprechen nur sehr undeutlich - es gibt zahllose Varianten. Wahrscheinlich so viele, wie es frühkindliche Autisten gibt. 

Sonntag, 12. April 2015

Instinktiv natürliches Verhalten bei Krankheit

Liebe Leser!
Meine Enkelin zeigt in vielen Bereichen durch ihre veränderte Wahrnehmung durch ihren frühkindlichen Autismus mehr instinktiv gesteuerte Verhaltensweisen. Sie isst nicht nach der Uhr sondern nur, wenn sie Hunger hat, sie schläft sofort und an jedem Ort und Platz, wenn sie müde ist und verhält sich auch bei Krankheit so vernünftig, wie es sich viele Eltern neurotypischer (normaler) Kinder wünschen würden.
Bis zu ihrem 5. Lebensjahr war Helena Marie nie krank, außer maximal zwei Schupfen pro Jahr. Mit Eintritt in den Kindergarten kam dann eine Erkältung nach der nächsten und das erste Fieber. Was tut das Kind? Es legt sich hin und schläft sich gesund. Es quengelt nicht, es jammert nicht, es schläft und schläft und schläft. Ein bisschen Hustensaft, ein leichter Fiebersaft sind die einzigen Medikamente, die die Kleine bisher erhalten hat. Vor wenigen Tagen war sie erstmals -- außerhalb der U1 - U9 -- beim Kinderarzt, obwohl sie in wenigen Wochen sechs Jahre alt wird. Die Mama wollte das Kind vorsichtshalber abhorchen lassen, weil Husten und Fieber anhielten, aber unangenehm zu sein schienen. Die Kleine jedoch konnte mangels Sprache wegen des frühkindlichen Autismus nicht sagen, ob sie etwas quälte. Doch alles war ok. Der Kinderarzt war begeistert, als er hörte, dass meine Enkelin nichts anderes möchte als schlafen. Das würde er gerne auch den anderen Eltern als Rat für ihre kranken Kinder mitgeben, wohl wissend, dass diese meist mit ihren Kleinen zu kämpfen haben, die nicht liegen bleiben möchten, obwohl sie viel zu schwach sind fürs Spielen. Dann fordern sie den ganzen Tag Unterhaltung, sind unzufrieden, weil sie nicht so können, wie sie wollen. 
Doch Helena Marie schläft den ganzen Tag, bis sie wieder fit ist und kann dann - so fröhlich, wie sie ist - wieder am Leben teilnehmen.
Wir hoffen sehr, dass das Kind seine instinktiv richtigen, natürlichen Verhaltensweisen beibehält. Wir wagen die Behauptung, dass das auf ihren frühkindlichen Autismus zurück zu führen ist.     

Donnerstag, 2. April 2015

Weltautismustag

Liebe Leser,
es gibt einen "Weltautismustag". Tatsächlich!
Das ist schon bemerkenswert, da man doch immer wieder den Eindruck hat, dass die meisten Menschen, die nicht gerade Betroffene oder Angehörige von Autisten sind, so gut wie nichts über Autismus wissen. 
Ich möchte ein paar Gedanken zu Autismus - zum Leben mit meiner autistischen Enkelin - aufschreiben. 
Der erste Schock über die Diagnose "frühkindlicher Autismus" war heftig, obwohl wir sie eigentlich bereits für uns selber gestellt hatten. Zu deutlich waren die Symptome mit ca. 20 Monaten, zu schwer wog die Traurigkeit der Mama, dass das Wunschkind sie nie anlächelte, nie auf ihren Arm wollte, von ihr weg rannte und immer allein spielen wollte. Kein Wort kam über die Lippen des kleinen Mädchens, es mochte nichts kauen und nur eine Sorte kalte Gemüsegläschen und kalte Babymilch - sonst nichts. Die Kleine betrachtete Mitmenschen und Tiere als Gegenstände und schob sie zur Seite, wenn sie im Weg standen. Sie lebte völlig in ihrer eigenen Welt und verstand nichts von dem, was wir ihr sagten. Sie blieb uns so fern, so intensiv wir auch versuchten, an Helena Marie heran zu kommen. Sie machte durchaus Lernfortschritte, aber ausnahmslos autodidaktisch, weil sie nicht bereit war, sich etwas zeigen zu lassen. Oft lag sie als Baby stundenlang in ihrem Bettchen und drehte ein Spielzeug vor ihren Augen hin und her und schrie nur, wenn sie Hunger hatte oder die Windel voll war. Noch im 1. Lebensjahr konnte sie es nicht ertragen, wenn nachts Mama zusammen mit ihr im Zimmer schlief; dann wachte sie ständig schreiend auf. Ruhe trat erst ein, als sie allein schlafen durfte.
Was für Zukunftsaussichten!?!
In wenigen Wochen wird Helena Marie 6 Jahre alt. Ihr Wortschatz beläuft sich jetzt auf ca. 70 einzelne Wörter und sie braucht nach wie vor Windeln. Ihr Nachtschlaf endet sehr oft um 01.00h und Körperpflege und Ankleiden stellen uns täglich vor eine große Aufgabe.
Aber ansonsten ist sie nicht wieder zu erkennen.
Stellt man sich so ein Kind mit frühkindlichem Autismus vor?
Man trifft auf ein sehr fröhliches, temperamentvolles Mädchen, das auf die Menschen zugeht, vor nichts und Niemandem Angst hat, stundenlanges Kuscheln und Kitzeln liebt, mit uns und mit dem Kindern im heilpädagogischen Kindergarten zusammen spielt, Sie lernt durch Abschauen und weiterhin autodidaktisch mit ihrem Ipad, mag Musik und Tanz und freut sich ihres Lebens.  
Sie hat Therapien (Frühförderung, Ergotherapie, Musiktherapie und seit kurzem Logotherapie) bekommen; aber alle Therapeuten haben uns bestätigt, dass ein Großteil ihrer wunderbaren Entwicklung darauf zurück zu führen ist, dass wir (ihre Mama, ich als Oma und auch der Opa) stets versucht haben, ihr ein Umfeld nach ihren Bedürfnissen zu schaffen und sie grenzenlos zu lieben. Sie darf bei uns so leben, wie es ihrer besonderen Wahrnehmung durch ihren frühkindlichen entspricht. Wir haben mehrfach ihren eigenen Bereich umgebaut, ihr das zur Verfügung gestellt, was ihr zu Hause die größtmögliche Freiheit gibt und lassen sie in ihrem Rhythmus gewähren. Das heißt nicht, dass sie keine Grenzen gesetzt bekommt, wo es nötig ist. Sie ist auch durchaus bereit, die Grenzen zu akzeptieren, die ihr im Kindergarten gesetzt werden. Vielleicht gerade deshalb, weil sie zu Hause eine Geborgenheit findet, die es ihr ermöglicht, in fremder Umgebung zurecht zu kommen. Etliche Autisten haben auf Grund ihrer anderen Wahrnehmung viele Ängste. Je mehr Urvertrauen sie aufbauen können, desto weniger schockiert sie Neues und Veränderungen. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass autistische Kinder, die Ängste haben, nicht von ihren Eltern geliebt und bestens behandelt werden. Jedes autistische Kind ist anders und Bemühungen der Angehörigen können nur fruchten, wenn sie auch auf fruchtbaren Boden fallen. Bei Helena Marie kommt wohl beides zusammen, obwohl Letzteres zu Beginn der Diagnose kaum zu erwarten war. Unsere grenzenlosen, von Liebe getragenen Bemühungen, zu ihr vorzudringen, sind nicht an ihr abgeprallt. Uns ist es gelungen, einen Zugang zu unserem kleinen Schatz zu finden, in ihr ein großes Vertrauen aufzubauen und ihr eine enorme Sicherheit zu geben. Unser Lohn dafür ist ein wunderbares, glückliches Kind, das den ganzen Tag lacht und trällert, uns anstrahlt und umarmt, offen auf andere Menschen zugeht und Tiere liebt. Unser kleiner Engel, dieses tolle Menschenkind mit frühkindlichem Autismus scheint frei von Angst und voller Lebensfreude.
Etwas Wertvolleres gibt es nicht.