Liebe Leser!
Vorgestern war Kindergartenausflug in einen Zoo. Doch alle
waren der Meinung, dass die 6-jährige Helena Marie, die frühkindlichen Autismus
hat, es nicht schaffen würde, ohne Mama im Bus mitzufahren und die vielen
Stunden im Zoo durchzuhalten. Denn wenn die Kleine plötzlich genug hat und
überfordert ist von Eindrücken, sagt sie fertig oder „Auto“ und möchte sofort
zurück. Ist dies dann nicht möglich, rastet sie aus, fängt an, sich auf den
Boden zu werfen, zu schreien und lässt sich weder beruhigen noch von der Stelle
bewegen. Das machte die Teilnahme an diesem Gemeinschaftsausflug mit Bus
unmöglich, zumal der Zielort so weit lag, dass Mama nicht innerhalb kurzer Zeit
da sein konnte, um ihren Schatz abzuholen.
Reizüberflutung und Überforderung sind bei typisch für
Menschen mit Autismus und die Angehörigen von autistischen Kindern tun gut
daran, diese von Situationen fernzuhalten, die unzumutbar sind.
In diesem Fall war es schade, weil Helena Marie sehr gerne
in den Kindergarten geht und auch gerne mit den anderen Kindern zusammen ist,
spielt, dabei sein will und Vieles nachahmt. Doch die Erzieherinnen konnten es
aus verständlichen Gründen nicht gestatten, dass ein Kind die Mama mitnehmen
durfte und die anderen nicht.
Doch Helena Marie – die gar nicht mitbekommen hatte, dass
ein Kindergartenausflug anstand und deshalb auch nichts vermisste - musste
nicht bei schönem Wetter zu Hause spielen. Mama und ihr Partner, der sehr
liebevoll mit der Kleinen umgeht und sich immer viel Nettes und Lustiges für
sie einfallen lässt, haben Helena Marie ins Auto gepackt und sind mit ihr nach
Norderney gefahren. Die Kleine fährt super gerne lange mit dem Auto; und die
Fahrt mit der Fähre war sehr aufregend. Als sie die erste Möwe sah, rief sie
laut „Flugzeug“, was freundliches Gelächter bei den anderen Passagieren hervor
rief. Prompt bekam sie eine Stoffmöwe von Mama gekauft, die jetzt in ihrem
Zimmer von der Decke herunter hängt. Zum Transport für den Proviant und das
laufmüde Kind diente ein großer zusammenfaltbarer Bollerwagen, obwohl Helena
Marie selber einen kleinen Bollerwagen mit Sandspielzeug bekommen hatte. Sie
genoss die Sonne, den Wind, steckte die Füßchen kurz ins noch recht kalte Nordseewasser – nur die riesige Menge Sand am Strand beeindruckte sie wenig. Auf
jeden Fall strahlte sie den ganzen Tag und schnatterte auf der Rückfahrt –
trotz der fortgeschrittenen Zeit – während der gesamten Fahrt in ihrer eigenen
Sprache, um von dem Erlebten zu erzählen und ihre Eindrücke abzubauen.
Schade, dass Helena Marie nicht in der Lage ist, im
Kindergarten im Stuhlkreis von ihrem Ausflug zu berichten und auch nicht
verstehen kann, was die anderen Kinder vom Zooausflug erzählen.
Trotzdem hat sie einen wunderschönen Tag erlebt. Niemand sollte meinen,
dass Kinder mit frühkindlichem Autismus nichts mitbekommen, nur weil sie
mangels Sprachvermögens es nicht ausdrücken können. Sie nehmen sehr viel wahr –
wenn auch anders als wir. Könnte sie beispielsweise einen Aufsatz über den
Ausflug schreiben, so würde sie garantiert etwas völlig Anderes berichten als neurotypische
Kinder, die Gleiches erlebt hätten. Aber das ist ein Thema für sich.
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