Die Beiträge. die eine Überschrift in Großbuchstaben haben, sind in enger Zusammenarbeit mit der Autistin Marianne van der Arend entstanden, der es - wie auch mir - extrem wichtig ist, dass neurotypische ("normale") Menschen über Autismus und Menschen mit Autismus aufgeklärt werden. Leider fehlt auch in wichtigen Berufsgruppen noch hinreichende Informationen und Aufklärungen, so dass es zu fatalen Fehleinschätzungen kommen kann.
Autisten und die Polizei
Marianne van der Arend, Erwachsene mit klassischem
(frühkindlichem) Autismus hat im vergangenen Jahr einen Vortrag vor 150
Kriminalbeamten gehalten.
Man mag sich fragen, was hat eine Autistin in einer
Polizeischule zu suchen?
Lesen Sie folgende Beispiele und die Frage beantwortet sich
von selber.
Beispiel 1
Ein Autist beobachtet einen Raubüberfall auf ein
Juweliergeschäft und wird anschließend von der Polizei als Zeuge befragt. Die
Polizei stellt Fragen, die auf die Beobachtungsgabe neurotypischer Menschen
zugeschnitten sind, die einen Überblick über die Gesamtsituation haben. Sie
fragt z.B.: „Wie viele Räuber haben das Geschäft verlassen?“
Auf diese Frage kann dieser Mann mit Autismus nicht
antworten, weil er seine Aufmerksamkeit kaum auf Menschen richtet, so dass die
Polizei ihn nicht mehr weiter befragt, weil sie ihn als Zeugen für wertlos
hält.
Der Autist jedoch könnte sehr wohl weiter helfen bei der
Suche nach dem Fluchtauto - selbst unter der Voraussetzung, dass das
Nummernschild mit aller Wahrscheinlichkeit ausgetauscht worden war. Denn ein
Autist merkt sich die Details: Er könnte genau einen winzigen Sticker auf dem
Auto der Räuber beschreiben, er könnte angeben, dass der Auspuff nicht in
Ordnung war, er könnte darauf aufmerksam machen, dass der Motor eigenartige
Geräusche von sich gegeben hat und welche Ursache das hat, er könnte genau
aussagen, welche Reifen wie weit
abgenutzt waren und welche nicht.
Aber danach würden die Kriminalbeamten kaum fragen, es sei
denn, sie seien durch eine Fortbildung sensibilisiert dafür, dass sie einen
Autisten vor sich haben und die Kenntnis, dass dieser durchaus wertvolle
Angaben zur Aufklärung des Falles machen kann - allerdings andere als die
üblichen.
Um das noch einmal zusammen zu fassen: Autisten haben auf
Grund ihrer anderen Wahrnehmung kaum die Möglichkeit, einen Überblick über eine
Gesamtsituation zu gewinnen; dafür jedoch erfassen sie präzise Details, die
neurotypischen Menschen überhaupt nicht auffallen.
Eine Frau mit Autismus könnte nichts über die Gesichter der
Räuber erzählen, wüsste aber jedes Detail über deren Bekleidung. Sie könnte
genau sagen, wenn ein Knopf gefehlt hätte, wenn ein Kleidungsstück an einer
Stelle eine Reparaturnaht aufwiese. Sie könnte angeben, um welche Modelle es
sich bei den Kleidungsstücken handelt und in welchem Jahr diese gekauft worden
sind. Auch diese Frau nimmt anders wahr als neurotypische Menschen, könnte
jedoch Informationen geben, die durchaus sehr wichtig sein könnten, um die
Bankräuber zu finden oder um ihnen die Tat nachzuweisen.
Beispiel 2
Ein autistischer Jugendlicher steht auf einem Weg und
beobachtet fasziniert Flugzeuge. Plötzlich hält neben ihm ein Polizeiauto, was
den jungen Mann sehr erschreckt, weil er so intensiv in Gedanken und Schauen versunken
war. Deshalb rennt er fort, was die Polizei veranlasst, zu vermuten, er habe
einen Grund, vor der Polizei zu fliehen. Als die zwei Beamten ihn erwischt
haben, halten sie ihn fest, was für viele Autisten das Schlimmste ist, was man
ihnen antun kann. Dadurch schraubt sich die Spirale hoch. Denn jetzt schreit
und wehrt der junge Autist sich nach Leibeskräften, tritt um sich, kratzt und
beißt. Das wiederum werten die Polizisten als heftigen Widerstand gegen
Vollzugsbeamte, nehmen ihn fest und bringen ihn gewaltsam in Polizeigewahrsam.
Der völlig unschuldige junge Mann, der nur so reagiert hat, weil die beiden
Ordnungshüter ihn aus Unwissen falsch angefasst haben, muss drei Tage in Haft
verbringen.
Allerdings war diese Situation für beide Seiten fatal. Zunächst haben
sie aus ihrer jeweiligen Wahrnehmung heraus plausibel reagiert. Jedoch auf der
Polizeiwache wäre es erforderlich gewesen, dass Polizeibeamte auf Grund
entsprechender Kenntnisse den jungen Mann als Autisten erkannt hätten, um sein
Verhalten im Nachhinein angemessen einzuordnen. Dann wäre ihm viel Leid erspart
geblieben durch die Haft, die tiefgreifende Ängste bei dem unschuldigen
Autisten aus
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