Meine 6-jährige Enkelin mit frühkindlichem Autismus hat im
Laufe der letzten Monate in Bezug aufs Essen eine enorme Entwicklung
durchgemacht. Noch im Januar aß sie im heilpädagogischen Kindergarten nur ihre
12-Monats-Gläschen und ließ sich nur mit viel Mühe von den sehr bemühten
Erzieherinnen dazu überreden, beim Mittagessen am Löffel zu lecken. Nach und
nach jedoch bekam sie einen Klecks des Essens in ein kleines Schälchen und
traute sich, daran zu probieren. Bereits Mitte März plötzlich war die Kleine
bereit, wie die anderen Kinder ihre ganze Mahlzeit zu verspeisen.
Als wir sie mittwochs zwischendurch regelmäßig abholten, um
mit ihr zur Musiktherapie zu fahren, konnte sie danach auf einmal nicht mehr
schnell genug wieder zum Kindergarten zurück kommen, weil Zeit zum Mittagessen
war. Fröhlich rannte sie in ihren Gruppenraum und setzte sich sofort an den
bereits gedeckten Tisch.
Diese Erkenntnis, dass man (fast) alles essen kann, übertrug
sich auch bald auf zu Hause. Sobald dort etwas gekocht wird, lugt Helena Marie
neugierig in die Töpfe und kommt mit ihrem Teller an, um sofort etwas zu
bekommen, wenn das Essen fertig ist. Am liebsten isst sie Fleisch und Fisch,
der für sie auch Fleisch heißt. Waren Kartoffeln für sie vor wenigen Wochen
noch nicht lecker, so verlangt sie jetzt danach. Ließ sie sich bisher meist nur
eine Nudel auf den Teller legen, so werden sie jetzt in großen Mengen gegessen.
Auch vor Kroketten, Wedges und Knödeln macht sie nicht halt. Ob mit oder ohne
Soße oder Ketchup – alles ist auf einmal lecker. Nachdem es uns zu viel
geworden war, dass das Kind versuchte, eine Packung Salami nach der anderen
ohne Brot zu essen, sind jetzt Brötchen mit Leberwurst ihr Favorit.
Welch eine Veränderung! Dabei ist es durchaus üblich, dass
Kinder mit frühkindlichem Autismus merkwürdige Essgewohnheiten haben und auch
sehr lange beibehalten. Bei meiner Enkelin ist durch das Mittagessen im
Kindergarten der Knoten einmal geplatzt; dadurch hat sie alle alten,
eingefahrenen, einseitigen Gewohnheiten beim Essen in kürzester Zeit abgelegt.
Doch: Wie alles hat auch das seine Nachteile. Helena Marie war bisher
gewichtsmäßig in der Norm. Jetzt hat sie so viel Freude am Essen gefunden, dass
sie ständig etwas zu essen haben möchte, was manchmal nicht leicht zu
verhindern ist. Daher ist sie leider etwas pummelig zu geworden, obwohl sie
sich von Süßigkeiten fern hält. Denn unser Glück ist, dass Helena Marie immer
noch alles strikt ablehnt, was im Entferntesten mit Schokolade zu tun hat. Ab
und an greift sie bei anderen Kindern mal zu Gummibärchen und manchen Kuchen
mag sie auch. Ihr ständiger Hunger (Appetit) führt dazu, dass sie mehr isst,
als sie trotz ihrer vielen Bewegung verbrennen kann. Doch ist es mit ständigen,
lautstarken Kämpfen verbunden, das kräftige, willensstarke Mädchen von
Kühlschrank und Brotkorb fernzuhalten. Da ist guter Rat teuer. Man kann leider
nicht alles vor ihr zugriffssicher verstecken oder verschließen. So groß die
Freude ist, dass meine Enkelin trotz ihres frühkindlichen Autismus jetzt
abwechslungsreich isst, so groß ist jetzt die Sorge, dass sie dauerhaft
übergewichtig wird.
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