Lange habe ich mich gefragt, warum frühkindlichen Autisten
nachgesagt wird, sie hätten in hoher Prozentzahl einen niedrigen IQ (meist von
70 oder auch niedriger). Umso mehr freuen wir uns, dass wir bei meiner Enkelin
merken, dass nicht nur uns, sondern auch Freunden und Bekannten, aber auch
Fremden und Therapeuten aus allen Sparten schnell und deutlich erkennbar
auffällt, wie logisch und schlussfolgernd sie denken kann, je älter sie wird.
Deshalb haben wir uns auch schwer getan, sie mit jetzt sechs
Jahren in eine Förderschule für geistige Förderung zu geben, zumal sie sich
selber auch schon am Ipad autodidaktisch im Vorschulalter das ganze ABC, das
Zählen bis 200 und geometrische Formen beigebracht hat. Auch die noch überschaubare
Zahl von Wörtern, die sie inzwischen sprechen kann, kann sie jedoch schon lesen
und schreiben.
Vor drei Wochen sollte die Kleine nun zu einem Test zur
Feststellung der Veränderung des Entwicklungsstandes während der letzten zwei
Jahre. Der nicht-sprachliche Test ging 2x über je eine Stunde, in der Helena
Marie gewisse Aufgaben zu erfüllen hatte. Ihre Mama ahnte nicht, dass es in
Wirklichkeit ein Intelligenztest war, der ihrem Töchterchen vorgelegt wurde.
Eine solche Durchführung ohne Information bzw. Einwilligung der
Erziehungsberechtigten ist schon fragwürdig. Noch fragwürdiger ist allerdings,
ob man einen solchen Test überhaupt Kindern mit frühkindlichem Autismus
vorlegen kann bzw. welche Aussagekraft er bei Kindern hat, die wegen ihres Autismus
über eine ganz andere Wahrnehmung verfügen und deshalb wahrscheinlich viele der
vorgegebenen Aufgaben nicht lösen können, ohne dass das einen Aufschluss über
mangelnde Intelligenz geben muss.
Trotzdem wird so vorgegangen: Der Test ist für eine bestimmte
Altersgruppe konzipiert. Lediglich die Tatsache, dass er nicht-sprachlich ist,
nimmt Rücksicht darauf, dass etliche frühkindliche Autisten nicht sprechen
können – also auch keine Fragen zu beantworten sind. Wenn dann normal
entwickelte (neurotypische) Kinder und Kinder mit frühkindlichem Autismus
diesen Test machen, so kann den neurotypischen Kindern erklärt werden, was von
ihnen erwartet wird – den autistischen jedoch nicht, wenn diesen die nötige
Sprachauffassung fehlt. Dadurch sind letztere automatisch benachteiligt.
Außerdem erfassen sie aufgrund ihrer veränderten Wahrnehmung aus ihrem Umfeld
optische Dinge ganz anders als neurotypische Gleichaltrige. Diese
Andersartigkeit, die dazu führen kann, dass sie Teile des auf bildliche
Darstellungen bezogenen Tests nicht lösen können, darf aber nicht zu dem
Schluss führen, dass mangelnde Intelligenz vorliegt.
Kein Wunder also, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus
durch einen solchen Test in der Regel nur ein IQ-Ergebnis von 70 erreichen. Der
IQ meiner äußerst cleveren Enkelin lag sogar noch darunter: bei 67, also im
Bereich der geistigen Behinderung.
Dieses Ergebnis hat uns gezeigt: Nicht meine Enkelin ist
dumm – sondern der Test ist ungeeignet, um das intellektuelle Leistungsvermögen
von Kindern mit frühkindlichem Autismus zu messen.
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