Autismusshirt

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Donnerstag, 23. Juli 2015

Die ersten Jahre und der Opa

Liebe Leser!
Wer alle Zusammenhänge und Anspielungen in diesem Blog auf die ersten Jahre im Leben mit meiner Enkelin mit frühkindlichem Autismus verstehen möchte, täte gut daran, mein Buch, "Fanti, das kleine Schlitzohr - Leben mit einem autistischen Kleinkind" zu lesen, das im Tiponi-Verlag erschienen ist. Es ist deshalb so wertvoll, weil es einerseits einen roten Faden in die Lebensgeschichte bringt, andererseits aber auch typische Merkmale eines Kindes mit frühkindlichem Autismus beschreibt und erklärt. 
Und drittens zeigt es im Zusammenhang mit diesem Blog, wie positiv sich ein Kind entwickeln kann, obwohl die ersten Jahre und die ganzen Symptome im Rahmen des frühkindlichen Autismus wenig Hoffnung offen ließen.
Was ebenso erstaunlich ist, ist die große Liebe von Opa zu Helena Marie. Insgesamt nicht ganz glücklich über seine alleinerziehende Tochter lässt er sich gerne als "Kindermädchen" für seine Enkelin einspannen. Die beiden verstehen sich wortlos, haben ganz viel Freude und Spaß miteinander und verbringen viele herrliche Stunden, sobald Opa da ist. Dann sind Mama, Oma und auch die nette Betreuerin vom FuD abgeschrieben - Helena Marie freut sich riesig, wenn ihr Opa nach seinen regelmäßigen Tagen von 2-3 Tagen Abwesenheit pro Woche wieder da ist.
Vor allen Dingen das "wortlose" Verstehen ist so bemerkenswert. Opa ist der absolute Sprach-Freak. Er ist Doktor der Sprachwissenschaft und legt höchsten Wert auf präzise Sprache und verachtet jeden, der dieser nicht mächtig ist. Er war sehr stolz, als seine eigene Tochter schon sehr früh gut und richtig sprach, weshalb er dieser stets ganz viel Literatur erzählte oder vorlas. Daran ist bei seiner Enkelin natürlich nicht zu denken. Durch ihren frühkindlichen Autismus fehlt ihr die Sprache; sie beherrscht mit ihren 6 Jahren zwar inzwischen ca. 120 Wörter; aber vom Sprechen ihrer Muttersprache ist das meilenweit entfernt. Doch das stört Opa überhaupt nicht. Im Gegenteil; schon in Phasen, in denen wir noch dachten, sie verstünde uns noch überhaupt nicht, war er fest überzeugt, dass die Kleine ihn durchaus verstehe. Er freut sich - wie wir - riesig über jedes neue Wort, das sie lernt, lässt sich aber auch genauso gerne minutenlang etwas in "autistisch" von seinem kleinen Schatz erzählen. Es macht ihm überhaupt nichts aus, dass dieses liebenswerte Kind der Muttersprache nicht mächtig ist, obwohl ihm ansonsten Sprache im Umgang mit Menschen das allerwichtigste ist. Denn es geht ihm nicht nur um die richtige Grammatik, sondern auch um die exakte Wortbedeutung, die bei etwas lässigem Sprachgebrauch dann immer erst diskutiert werden muss. Das ist oft so nervig, dass ein Gespräch schon endet, bevor es richtig angefangen hat. "Wortklauberei", "jedes Wort auf die Goldwaage legen" - damit ist wohl alles gesagt.
Das alles spielt bei Helena Marie keine Rolle. Der kleine Engel mit frühkindlichem Autismus hat "Narrenfreiheit". Sie wählt andere Formen der Kommunikation und ist zusammen mit Opa ein "Dreamteam".    

Freitag, 17. Juli 2015

Von peinlich bis lustig

Liebe Leser!
Jeder Tag mit meiner nun sechsjährigen Enkelin, die frühkindlichen Autismus hat, birgt unvorhersehbare Überraschungen. Fast jede Minute muss man damit rechnen, dass etwas geschieht, was einem die Sprache verschlägt und mit dem man nicht gerechnet hat. Deshalb ist es auch stets sehr anstrengend, die Tage mit ihr zu verbringen, auch wenn man - neben des Überstehens peinlicher Situationen - oft sehr viel zu lachen hat und sich wundert, was sich alles in diesem cleveren Köpfchen zusammenbraut.
Das eine sind natürlich die Rituale, die für Kinder mit frühkindlichem Autismus typisch sind. Einmal etwas gesehen oder getan, so wird es von da an tagein tagaus in derselben Weise wiederholt und darf um Gottes Willen nicht mehr abgeändert werden. Wehe, die Umstände erfordern eine Umstellung - dann wird es laut und die Türen knallen.
Schon mehrfach hat Helena Marie ihre Mama zu einem Pferdestall begleitet, wo die betagte Dame, die die Pferde mitbetreut, morgens ihr Leberwurstbrötchen mit ihrem uralten Hund teilt. Jedes Stück des in Fünftel geteilten Brötchens wird zunächst von der Hundebesitzerin angebissen und der Rest dem Hund ins Maul gesteckt. Einmal gesehen, muss es morgens zu Hause ebenso ablaufen. Bei jedem Wind und Wetter rennt die Kleine mit ihrem Brötchenteller samt gleich geschnittenem Leberwurstbrötchen in den Garten, wo unser Hund seine große gemütliche Hütte hat. Ebenso beißt sie von jedem Fünftel ein Stück ab und steckt den Rest laut lachend und hüpfend unserem freudig wartenden Hündchen ins Maul. Beide haben einen Heidenspaß und genießen das morgendliche Ritual.
Peinlich wird es dann, wenn man mit einem inzwischen 6-jährigen Mädchen unterwegs ist, unter dem sich - mitten in einem Laden - trotz Windel eine große Pfütze bildet. So geschehen vor einigen Tagen, als ich mit meiner Enkelin in einer Tankstelle bezahlen wollte. Ich war bereits seit mehr als einer Stunde mit ihr unterwegs und sie hatte eine Windel unter dem Rock und ihren beiden Kleidern (ihr momentan bevorzugtes Outfit). Nach dem Tanken wollten wir ohnehin nach Hause fahren. Doch es war schon zu spät. Helena Marie ist aufgrund der Wahrnehmungsstörung bei frühkindlichem Autismus immer noch nicht in der Lage zu spüren, wenn sie Pipi machen muss. Es läuft einfach. Da ihre Windel, die wir vor dem Wegfahren noch gewechselt hatten, offenbar schon voll war, lief sie über und es bildete sich unter der Kleinen eine große Pfütze. Da war guter Rat teuer. Manch andere hätte sich wohl klammheimlich weggeschlichen. Ich aber hatte Sorge, dass jemand auf dem nassen Fliesenboden ausrutschen könnte und bat dann den Angestellten der Tankstelle, mir wegen des passierten Malheurs Papier zum Aufwischen zu geben. Na ja, es gibt Schlimmeres - aber es gibt auch schönere Situationen.
Dafür wird man hinreichend entschädigt mit Szenen, die einmalig sind. Unser kleiner Schatz setzte Mama, Oma und Opa auf der Terrasse in eine Reihe, holte sich einen Stuhl und platzierte sich ca. 2m genau gegenüber. Dann hat sie fast 10min einen Monolog (in "autistisch") gehalten. Anschließend ist die Kleine aufgestanden, hat sich ein Stöckchen gesucht, es als Mikrofon genutzt, sodann erst immer selber reingesprochen und es danach abwechselnd vor unsere Münder gehalten und Antworten erwartet. Es war zu Schlapplachen.
Kinder mit frühkindlichem Autismus sind Überraschungspakete in jeglicher Hinsicht. Aber im Zusammenleben mit ihnen kommt keinerlei Langeweile auf.