Autismusshirt

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Sonntag, 22. März 2015

Zwischenbilanz

Liebe Leser,
ab und an muss man mal innehalten und Bilanz ziehen.
In wenigen Wochen wird meine Enkelin 6 Jahre alt und mein ganzes Leben dreht sich fast nur noch um frühkindlichen Autismus. 
- Ich habe ein Buch geschrieben: "Fanti, das kleine Schlitzohr - 
  Leben mit einem autistischen Kleinkind"
- Ich habe zwei Autisten-T-Shirts entworfen: http://754823.spreadshirt.de/
- Ich betreibe diesen Blog über frühkindlichen Autismus
- Ich bin 1. Vorsitzende des am 17.1.15 gegründeten Vereins "Autistische Welt e.V."
- Ich habe die facebook-Gruppe "Autistische Welt" ins Leben gerufen
Ich kümmere mich fast rund um die Uhr - zusammen mit der Mama - um die kleine Helena.
Ich begleite sie zu Therapien und Untersuchungen, fahre sie zum Kindergarten und hole sie ab, wechsle ihr mitten in der Nacht mehrfach die Windeln, schmuse und lache mit ihr und versuche, ihren Wortschwall aus "chinesisch-arabisch-autistisch" zu verstehen.
Da bleibt keine Zeit mehr für Kaffeekränzchen und Reisen, für Smalltalk oder Kochrunden.
Ich habe meine Prioritäten neu gesetzt. Oberflächliche, alte Bekanntschaften sind vergangen; dafür haben sich viele andere und interessante Menschen gefunden. 
Es hat sich ein völlig neuer Lebensabschnitt im letzten Lebensdrittel ergeben. Ausgesucht habe ich ihn mir nicht; aber ich habe mich auf ihn eingelassen, weil ich darin eine Aufgabe sehe, dir mir aufgetragen wurde. Ich möchte meine Enkelin nicht missen -- also stelle ich mich der Herausforderung und dem Thema "frühkindlicher Autismus".

Mittwoch, 11. März 2015

So viel Körperkontakt und Anhänglichkeit

Liebe Leser,
was hört man so über Autisten? Sie möchten nicht angefasst werden. Sie schreien bei Berührungen.
Zugegeben: Meiner Enkelin war es als Säugling egal, ob sie im Kinderbettchen lag oder von Mama in den Arm genommen wurde. Sie verlangte nie danach. Als Kleinkind saß sie nie länger als Bruchteile von Sekunden auf dem Schoß, wollte immer weg und festhalten durfte sie niemand. Das Festhalten ist immer noch ein riesiges Problem. Blutabnahme beim Arzt, Versorgen einer Wunde, Stillhalten beim Schneiden der Fußnägel etc. sind kaum möglich, weil die fast Sechsjährige dazu von mehreren Personen festgehalten werden müsste. Dann entwickelt sie Riesenkräfte und weniger als vier kräftige Erwachsene sind nicht in der Lage, sie für einen Moment zu fixieren.

Aber eines hat sich im Laufe der Zeit so wunderbar gewandelt. Unser kleiner Schatz mit frühkindlichem Autismus möchte schmusen, kuscheln, gestreichelt und gekitzelt werden, möchte in und auf den Arm genommen werden und kann davon gar nicht genug bekommen. Sie holt sich die Körpernähe und Streicheleinheiten, wann immer sie kann. Das tut uns so gut. Ihre Mama erholt sich langsam von dem Schmerz der ersten Jahre, als sie glaubte, ihr Kind lehne sie ab. Ich genieße es, meine Enkelin lange auf dem Schoß zu halten und sie zu drücken oder sie lange durchzukitzeln. Sie zeigt dann immer die Stellen, an denen sie als nächstes gekitzelt werden möchte. Das ist schon sehr lustig und wenn sie laut schallend lacht, muss man einfach mitlachen. Der Opa, der die Kräfte hat, das schon recht schwere Kind noch zu heben, trägt sie oft auf dem Arm lange hin und her, was die Kleine sichtlich genießt, aber als Baby und Kleinkind nicht haben mochte. 
Aber auch bei anderen Bezugspersonen, bei Erzieherinnen im Kindergarten und bei der Betreuerin, die an zwei Nachmittagen als Unterstützung kommt, schmiegt sie sich an, setzt sich auf deren Schoß und lässt sich drücken. Unser kleiner Engel mit frühkindlichem Autismus hat die Fähigkeit entwickelt, Vertrauen zu Menschen aufzubauen, fühlt sich geborgen und geliebt. Vielleicht ist sie auch deshalb nicht von Ängsten geplagt wie oft andere Autisten, die viel schreien und weinen, weil sie in der ihnen fremden Welt keinen Halt finden. Wir sind unendlich glücklich darüber, dass dieses Kind keine Ängste hat und offenbar glücklich ist. Sie lacht und trällert den ganzen Tag - ein Zeichen, dass es ihr gut geht.   
Und wenn es dem Helena Marie gut geht - geht es auch uns gut. Und dann ist es völlig egal, dass sie ein "besonderes" Kind ist, ein Kind mit frühkindlichem Autismus.  

Mittwoch, 4. März 2015

Autisten in der Pubertät

Liebe Leser,
damit wage ich mich auf unbekanntes Gebiet. Es gibt darüber kaum Literatur und meine kaum 6-jährige Enkelin ist noch nicht so weit.
Aber man hört dies und das und vor allen Dingen gilt auch hier: "Kennst du einen (frühkindlichen) Autisten, kennst du einen (frühkindlichen) Autisten". So wird auch jede (frühkindliche) Autistin, jeder (frühkindliche) Autist die Pubertät anders durchleben. 
Doch scheint es zwei Hauptprobleme zu geben.
Erstens geht es um die Gefühle. Die Gefühlswelt von (frühkindlichen) Autisten ist anders als die neurotypischer Menschen. Wenn dann die Hormone zu wirken beginnen und der Körper sich sichtbar verändert, wird das ein voraussichtlich größeres Chaos bei (frühkindlichen) Autisten auslösen als bei anderen Heranwachsenden. Vor allen Dingen können (frühkindliche) Autisten in der Regel nicht so handeln wie Gleichaltrige. Denn diese "beschnuppern" erstmals das andere Geschlecht, machen erste sexuelle Erfahrungen, verlieben sich, sprechen mit anderen Jugendlichen über ihre Gefühle und grenzen sich bewusst gegen die Eltern ab.
(Frühkindliche) Autisten sind oft ganz isoliert, haben keine Freunde, mit denen sie ihre Erlebnisse teilen und besprechen können. Sie finden auch keinen Freund/Freundin, um sich zu verlieben und ein Ventil für ihre übermächtigen Gefühle zu finden. Können sie diese jedoch nicht positiv ausleben, so werden sie sich wahrscheinlich eher in Aggression umwandeln, die sich gegen die engsten Bezugspersonen richten wird. Dann geht es in der Eltern - Kind - Beziehung nicht um ein natürliches bewusstes Abgrenzen und Abnabeln von den Eltern, was bei hilfsbedürftigen (frühkindlichen) Autisten ohnehin kaum möglich ist. Die Eltern werden Zielscheibe des ganzen Gefühlschaos, das von den Jugendlichen nicht eingeordnet und bewältigt werden kann. Es wird eine schwere Zeit werden, in der besonders dringend Hilfe von außen nötig werden wird. Dritte können wenigstens mit guter Betreuung und Ablenkung durch körperliche Aktivitäten in Gruppen Gleichaltriger und durch den Versuch, die Stärken des einzelnen (frühkindlichen) Autisten besonders zu fördern, die Gefühle ein wenig in Schach halten und kanalisieren.
Noch ein zweiter Punkt ist mir zu Ohren gekommen. Viele (frühkindlichen) Autisten haben wenig Schamgefühl. Sie befriedigen sich in aller Öffentlichkeit oder entkleiden sich auch dort, wo es nicht angebracht ist. Da müssen Eltern und alle sonstigen Erzieher versuchen, Mittel und Wege finden, individuell für den betreffenden Jugendlichen eine Strategie zu erarbeiten. Denn die/der Jugendliche ist durch sein unangemessenes Verhalten  in der Öffentlichkeit auch viel mehr in Gefahr, Opfer von Missbrauch jeglicher Art zu werden.
Es gilt also, in den sehr schwierigen Jahren der Pubertät besonders auf sein autistisches Kind aufzupassen.