Autismusshirt

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Dienstag, 26. Mai 2015

Fremder Babysitter --- ist jetzt möglich!!!

Liebe Leser!
Wie sich die Zeiten ändern! 
Wie wunderbar, wie positiv sich ein Kind mit frühkindlichem Autismus innerhalb recht kurzer Zeit entwickelt!
Vor knapp einem Jahr schrieb ich noch, dass es unmöglich sei, dass eine "fremde" Person meine Enkelin ins Bett bringen könne, wenn Mama und ich mal nicht da seien. "Fremd" wären auch der heiß geliebte Opa und die vertraute Dame vom FuD gewesen, weil sie die komplizierten und vielfältigen Rituale des Zubettbringens nicht hätten durchführen können.
Inzwischen ist alles anders. Helena Marie braucht trotz ihres frühkindlichen Autismus nur noch wenige Kleinigkeiten, um zufrieden auf ihrem Riesenteddy einzuschlafen. Sie hat die zweistündigen Rituale von selber abgebaut; welch eine Erleichterung für uns - aber auch für sie selber. Denn jetzt kann sie spielen, bis sie müde ist, ohne dass wir das Zubettbringen schon zwei Stunden vor der Zeit beginnen müssen.
Ein Bett wird allerdings nicht akzeptiert. Dieses Kind schläft nur auf ihrem 1,20m langen Teddy, überhäuft mit sechs bunten Decken, die nur in einer bestimmten Reihenfolge über sie gelegt werden dürfen. Wir sind heilfroh, dass der Teddy waschbar ist und wir davon ein zweites Exemplar haben. Denn so manche Nacht passiert das Malheur, dass der geliebte Teddy trotz vier übereinander getragener Windeln etwas abbekommt. Wie viel leichter wäre es in einem Bett! Denn dafür haben wir eine mit Kunstleder überzogene Matratze - extra gegen Durchnässen. Leider gibt es keine Teddys, die so ausgestattet sind, dass sie ausgelaufene Pippi abweisen - es sei denn, man würde ihnen ein Gummituch auf den kuscheligen Bauch nähen. Aber welches Kind möchte schon einen Teddy mit Gummibauch?
Es ist so niedlich, wenn sich eine 6-jährige abends selig und zufrieden hinlegt, weil "Teddyzeit" ist. Diese Wortschöpfung versteht sie und kann sie selber aussprechen - trotz ihrer sonstigen Sprachprobleme aufgrund ihres frühkindlichen Autismus.
Wenn Mama und Oma jetzt einmal ausnahmsweise zur "Teddyzeit" nicht da sind, lässt Helena Marie sich - vorausgesetzt, man stellt ihr ein Tablett mit einigen Besonderheiten mit ins Zimmer und kennt die Reihenfolge der Decken - auch von "Fremden" auf den Teddy und somit schlafen legen. 
Das ist ein riesiger Entwicklungsfortschritt für ein Kind mit frühkindlichem Autismus. Die Kleine hat sich innerhalb eines Jahres von selber von vielen Ritualen gelöst. Diese sind zwar durch andere ersetzt worden, jedoch meist durch wesentlich kürzere. Außerdem passt sie sich viel schneller neuen Situationen an oder nimmt gelegentlich auch etwas hin, was sich nicht ändern lässt. Das bedeutet für alle viel mehr Lebensqualität.    

Freitag, 22. Mai 2015

Das erste Mal am Meer – als Ersatz für den Kindergartenausflug

Liebe Leser!
Vorgestern war Kindergartenausflug in einen Zoo. Doch alle waren der Meinung, dass die 6-jährige Helena Marie, die frühkindlichen Autismus hat, es nicht schaffen würde, ohne Mama im Bus mitzufahren und die vielen Stunden im Zoo durchzuhalten. Denn wenn die Kleine plötzlich genug hat und überfordert ist von Eindrücken, sagt sie fertig oder „Auto“ und möchte sofort zurück. Ist dies dann nicht möglich, rastet sie aus, fängt an, sich auf den Boden zu werfen, zu schreien und lässt sich weder beruhigen noch von der Stelle bewegen. Das machte die Teilnahme an diesem Gemeinschaftsausflug mit Bus unmöglich, zumal der Zielort so weit lag, dass Mama nicht innerhalb kurzer Zeit da sein konnte, um ihren Schatz abzuholen.
Reizüberflutung und Überforderung sind bei typisch für Menschen mit Autismus und die Angehörigen von autistischen Kindern tun gut daran, diese von Situationen fernzuhalten, die unzumutbar sind.
In diesem Fall war es schade, weil Helena Marie sehr gerne in den Kindergarten geht und auch gerne mit den anderen Kindern zusammen ist, spielt, dabei sein will und Vieles nachahmt. Doch die Erzieherinnen konnten es aus verständlichen Gründen nicht gestatten, dass ein Kind die Mama mitnehmen durfte und die anderen nicht. 
Doch Helena Marie – die gar nicht mitbekommen hatte, dass ein Kindergartenausflug anstand und deshalb auch nichts vermisste - musste nicht bei schönem Wetter zu Hause spielen. Mama und ihr Partner, der sehr liebevoll mit der Kleinen umgeht und sich immer viel Nettes und Lustiges für sie einfallen lässt, haben Helena Marie ins Auto gepackt und sind mit ihr nach Norderney gefahren. Die Kleine fährt super gerne lange mit dem Auto; und die Fahrt mit der Fähre war sehr aufregend. Als sie die erste Möwe sah, rief sie laut „Flugzeug“, was freundliches Gelächter bei den anderen Passagieren hervor rief. Prompt bekam sie eine Stoffmöwe von Mama gekauft, die jetzt in ihrem Zimmer von der Decke herunter hängt. Zum Transport für den Proviant und das laufmüde Kind diente ein großer zusammenfaltbarer Bollerwagen, obwohl Helena Marie selber einen kleinen Bollerwagen mit Sandspielzeug bekommen hatte. Sie genoss die Sonne, den Wind, steckte die Füßchen kurz ins noch recht kalte Nordseewasser – nur die riesige Menge Sand am Strand beeindruckte sie wenig. Auf jeden Fall strahlte sie den ganzen Tag und schnatterte auf der Rückfahrt – trotz der fortgeschrittenen Zeit – während der gesamten Fahrt in ihrer eigenen Sprache, um von dem Erlebten zu erzählen und ihre Eindrücke abzubauen.
Schade, dass Helena Marie nicht in der Lage ist, im Kindergarten im Stuhlkreis von ihrem Ausflug zu berichten und auch nicht verstehen kann, was die anderen Kinder vom Zooausflug erzählen.
Trotzdem hat sie einen wunderschönen Tag erlebt. Niemand sollte meinen, dass Kinder mit frühkindlichem Autismus nichts mitbekommen, nur weil sie mangels Sprachvermögens es nicht ausdrücken können. Sie nehmen sehr viel wahr – wenn auch anders als wir. Könnte sie beispielsweise einen Aufsatz über den Ausflug schreiben, so würde sie garantiert etwas völlig Anderes berichten als neurotypische Kinder, die Gleiches erlebt hätten. Aber das ist ein Thema für sich.     

Montag, 11. Mai 2015

Der erste wahrgenommene Geburtstag

Liebe Leser!
Ich hatte bereits mein Bedauern darüber geäußert, dass meine inzwischen 6-jährige Enkelin bisher nichts von der Bedeutung von Festen verstanden hatte. Sie ist nämlich nicht in der Lage, komplexere Erklärungen zu verstehen, weshalb sie auch noch nicht verbal kommunizieren kann.. Das liegt an ihrer Störung durch frühkindlichen Autismus.
Noch vor wenigen Monaten hat sie im Kindergarten dem Nikolaus die Tüte zurück gegeben. Den Martinszug mit den bunten Fackeln und den Liedern hat sie zwar mitgemacht, jedoch ohne jegliches Verständnis für die Mantelteilung. Von der Geburt des Jesuskindes zu erzählen, sie zu einem Krippenspiel mitzunehmen, ihr Geschenke unter einen Weihnachtsbaum zu legen -- alles das wäre völlig verständnislos an ihr vorüber gegangen.
Doch: Jetzt, zu ihrem 6. Geburtstag im Mai, hatten wir plötzlich den Eindruck, als sei sie so aufnahmefähig, dass sie bemerken würde, dass dies ein besonderer Tag sei, wenn er besonders hervor gehoben würde.  
Und wir wurden in unserer Vermutung nicht getäuscht. Ein paar Tage zuvor fingen wir an, ihr zu sagen, sie würde nun 6 Jahre alt und ständig wiederholte sie die Zahl "6". Irgendwie schien sie auch zu merken, dass Mama etwas vorbereitete (den Geburtstagskuchen backte), denn am Abend zuvor und am Geburtstagsmorgen war sie ungewöhnlich aufgeregt, was sich leider in Zornesausbrüchen bemerkbar machte. Doch spätestens, als wir sie zusammen mit Kuchen und Schokomaikäfern zum Kindergarten brachten, wurde ihr klar, dass dies ein besonderer Tag war. 
Leider konnten wir im Kindergarten nicht "Mäuschen spielen". Und da Helena Marie nichts erzählen kann, erfuhren wir auch nicht, wie dort ihr Geburtstag gefeiert wurde. Aber sie hatte dort bestimmt viel Spaß daran, im Mittelpunkt zu stehen -- obwohl sie Autistin ist.
Nachmittags allerdings war sie fast zu platt, um ihre Geschenke zu Hause auszupacken und die Kerze auf dem Kuchen auszublasen. Denn genau an diesem Tag hatten die "Schulkinder" des Kindergartens noch am Nachmittag die Feuerwehr besucht, was sehr aufregend war und fast zu viel an Reizen für ein autistisches Kind. Doch in der Nähe von Mama, die mitgehen durfte, hat sie alles mitgemacht: Wasser verspritzt, mit dem Feuerwehrauto gefahren, Helm aufgesetzt u.v.m..
Doch danach war die Kleine nicht mehr in der Lage, auch noch mit dem ferngesteuerten Feuerwehrauto zu spielen, das Mama ihr so liebevoll eingepackt hatte. Helena Marie liebt ferngesteuerte Autos - aber ihr Geburtstag war so randvoll und aufregend gewesen, dass sie nur (etwas abwesend) ein paar Runden - in ihrer eigenen Sprache schnatternd - durch den Garten drehte, um die vielen Reize zu verarbeiten.  
Doch wir hatten das Gefühl, dass der kleine Schatz verstanden hat, dass ihr Geburtstag ein besonderer Tag ist. Wie schön für uns, dass wir jetzt wissen, dass auch ein Kind mit frühkindlichem Autismus lernen kann, außergewöhnliche Feste im Jahr zu verstehen und sich an diesen zu erfreuen. 

Sonntag, 3. Mai 2015

Reizüberflutung - oder zuviel neue Eindrücke?

Liebe Leser!
Reizüberflutung ist ein großes Problem für Autisten. Lärm, viele Menschen, neue Umgebung, Veränderungen aller Art -- all das macht vielen Autisten sehr zu schaffen. Sie schotten sich ab oder schreien, weil die Reize ein Gewitter in ihrem Kopf verursachen oder ihnen Sicherheit nehmen und dadurch Angst erzeugen.
Meine 6-jährige Enkelin ist frühkindliche Autistin; doch sie und wir haben das Glück, dass sie diese Arten der Reizüberflutung offenbar gut verarbeiten kann. Es darf für sie laut und schnell werden, weshalb sie gerne auf eine Kirmes geht. Auch die vielen Menschen dort machen ihr keine Angst. Sie akzeptiert jeden Besuch im Haus, jede Art der Veränderung in der Wohnung und in ihrem Zimmer und betritt auch jedes fremde Haus ohne Zögerung. Das macht das Leben mit ihr in dieser Hinsicht leicht.
Wenn es aber darum geht, dass sie durch neue Reize zu viel Neues sieht, das hintereinander auf sie einprasselt, ohne dass sie Gelegenheit hat, es einzeln zu verarbeiten und Neues daraus zu lernen, wird es ihr zuviel und sie will weg.
Kompliziert?
Ich versuche, es zu erklären.
Kommt sie beispielsweise in eine neue Umgebung (z.B. in die Wohnung von Bekannten), so kann sie sich in Ruhe umschauen, Vieles anfassen, herumgehen, sich auf verschiedene Plätze setzen etc.). Manches aber auch erkennt sie wieder, weil es ähnlich ist wie zu Hause. So kann sie die neue Umgebung erkunden und die fremden Eindrücke in Ruhe verarbeiten. 
Nun wähle ich als Gegenbeispiel einen Zirkusbesuch. Dort prasselt eine aufregende und spektakuläre Nummer nach der anderen über einen sehr langen Zeitraum auf sie ein. Nach spätestens einer halben Stunde möchte sie weg. Das ist aus ihrer Sicht auch gut zu verstehen. In dieser kurzen Zeit hat sie bereits eine Pferdedressur, eine artistische Darstellung, einen Clownsauftritt und eine weitere Darbietung gesehen. Jetzt bräuchte sie viel Zeit, um diese zahlreichen Eindrücke zu verarbeiten. Während andere 6-jährige noch Tage nach der Vorstellung von den Albereien des Clowns erzählen, konnte meine Enkelin diese auf Grund ihres Autismus gar nicht verstehen. Denn es ist typisch für Autisten, dass sie (selbst wenn sie Sprache verstehen und selber sprechen) mit Anspielungen und Zweideutigkeiten nichts anfangen können. Die Clownsnummer hat sie somit schon überfordert. Wäre jedoch der Clownsauftritt nur eine von wenigen Darbietungen geblieben, so würde auch er einen bleibenden Eindruck bei ihr hinterlassen. Denn vier Zuschauer wurden aufgefordert, in die Manege zu kommen, um auf "Befehl" des Clowns z. B. einen Hund zu spielen. Diese Szene würde sie bestimmt zu Hause umsetzen, wenn sie hinreichend Zeit zum Verarbeiten weniger Zirkusnummern bekommen hätte. 
Beim ersten Zirkusbesuch vor zwei Jahren sind wir nach der Pause auch gegangen.Jetzt -- nach so vielen Fortschritten in anderen Lebensbereichen -- wollten wir feststellen, wie viel mehr Spaß die Kleine nun an einem Zirkusbesuch hätte. Doch die Bilanz war recht ernüchternd. Wir dürfen das Kind nicht mit neuen Reizen überfordern.Dann geht der Schuss nach hinten los.
Erschwerend kommt hinzu, dass Helena Marie viele neue Eindrücke besser verarbeitet, wenn sie dabei in Bewegung ist. Im Zirkus musste sie mehr oder weniger still sitzen bleiben. Etliche Kinder mit (frühkindlichem) Autismus neigen dazu, ihre Reizüberflutung durch motorische Agitation abzubauen. Denn als die Kleine vor drei Wochen in einem Wildpark einen riesigen Spielplatz neu kennen lernte, war ihre Ausdauer wesentlich größer, bis sie von selber nach dem "Auto" verlangte -- also nach Hause wollte.   
Fazit: Wir werden in Zukunft vor einer Unternehmung genauer überlegen, was meiner Enkelin Freude macht, ohne sie zu überreizen. Somit kommt auch Kino noch lange nicht in Frage; es sei denn, man ist bereit, mitten im Film rauszugehen. 
Zum Thema Kino noch eine kleine Episode:
Vor zwei Jahren haben wir die Kleine auch einmal mit ins Kino genommen, obwohl sie damals noch gar keine Sprache verstand. Doch wir hofften, sie würde am Film "Findet Nemo" Spaß haben wegen der vielen bunten Fische und der eindrucksvollen Bilder. Doch weit gefehlt: Helena Marie verbrachte die ersten 20min damit, Mama mit Popcorn zu füttern. Die Leinwand interessierte sie gar nicht. Danach fing sie an, so laut zu singen, dass wir Hals über Kopf das Kino verließen, um uns nicht den Zorn der anderen Zuschauer zuzuziehen.