Autismusshirt

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Dienstag, 18. August 2015

Der 1. Schultag

Jetzt haben wir ein Schulkind! Meine Enkelin, die frühkindlichen Autismus hat, geht seit wenigen Tagen auf eine Förderschule für geistige Entwicklung. Dabei ist sie geistig recht fit und ausgesprochen clever und besonders pfiffig im Problemlösen, wenn sie ihren Willen durchsetzen möchte.
Doch sie ist weder sauber noch trocken, spricht - außer "autistisch" - kaum und muss ständig unter Beobachtung sein, weil sie sonst nur "Dummheiten" macht, durch die sie sich gefährden könnte. Sie ist sehr fix, wendig und Ideen reich, aber ohne Gefahrenbewusstsein. Da wäre die so hoch gepriesene Inklusion der glatte Wahnsinn. 
Überhaupt: Es entsteht der Eindruck, als würden die Förderschulen immer mehr zu Schulen für Autisten zu werden. Denn Autisten können noch so intelligent sein: Sie sind oft in ihrem Verhalten und in ihrer Wahrnehmung so speziell, dass sie es in einer Regelklasse nicht aushalten könnten und von den neurotypischen Kindern auch nicht zu ertragen wären. Viele Autisten können die Reizüberflutung in einer Regelschule mit großen Klassen nicht ertragen und rasten aus, schlagen und treten um sich, beißen oder reißen aus, schreien und verwüsten ihr Umfeld. Das kann niemandem zugemutet werden und kein Integrationshelfer vermag das aufzufangen. In einer Förderschule kommen auf 8 Kinder 4 Betreuer und es gibt Ruheräume und Rückzugsmöglichkeiten für Kinder, die besondere Betreuung brauchen. Ganz zu schweigen von dem Mobbing, dem diese Kinder an einer Regelschule ausgesetzt wären, wo schon die Außenseiter und Opfer von hässlichen Angriffen sind, die keine Markenklamotten tragen. Man solle nicht glauben, dass Kinder und Jugendliche auf einmal mitfühlend werden, wenn man ihnen zwangsweise "besondere" Mitschüler in die Klasse setzt. Auch die Eltern von Regelschülern laufen Sturm gegen die Inklusion, weil sie befürchten, dass dadurch ihre Kinder vom Lernen abgehalten werden. (Ausnahmen bilden rein körperlich behinderte Kinder; ein Rollstuhl hindert nicht am Lernen). 
Somit kämpfen wir auch für den Erhalt von Förderschulen, weil hierzulande in Regelschulen gute Inklusion in keiner Weise hinreichend vorbereitet und deshalb nicht durchführbar ist.  
Meiner Enkelin scheint es in der Schule gut zu gefallen; sie kann zwar nichts davon erzählen, kommt aber fröhlich und entspannt zurück. Auch schreibt die Klassenlehrerin Rückmeldungen ins Mitteilungsheft, die unseren Eindruck bestätigen. Denn Helena Marie ist wirklich ein sehr fröhliches und in ihrer Welt glückliches Kind und erobert sofort alle Herzen im Sturm. In der Schule hat es keine zwei Tage gedauert und selbst die Schulbusbegleitung machte schon am zweiten Tag eine Bemerkung über Helenas Fröhlichkeit und positive Ausstrahlung. 
Wir hoffen nur, dass die Kleine dort genug lernt, da sie bereits vor Schulbeginn durch autodidaktisches Lernen den Umgang mit Buchstaben und Zahlen beherrschte und jetzt mit Schülern zusammen ist, die vielleicht nie lesen, schreiben und rechnen lernen werden. Doch wir vertrauen erst einmal darauf, dass man Helena dort individuell fördern wird, damit sie sich nicht langweilt. Denn dann käme sie schnell auf dumme Gedanken und würde dazu neigen, Unfug zu machen und zu stören.     

Mittwoch, 12. August 2015

Fanti, das kleine Schlitzohr

Fanti, das kleine Schlitzohr,
so heißt der Titel meines Buches, das letztes Jahr erschienen ist und meine Enkelin (Helena) Marie, die Kanner-Autismus hat, in ihren ersten Lebensjahren beschreibt.
Inzwischen ist sie 6 Jahre alt und es hat sich enorm viel verändert. Längst wäre die Zeit reif für eine Fortsetzung. Aber der Titel müsste bleiben, was eine Begebenheit am heutigen Morgen wieder gezeigt hat.
Die Kleine hat ihre Mama gerade mal wieder so richtig ausgetrickst. Die nassen Windeln macht sie sich immer selber, die vollen lässt sie Gott sei Dank zu (es gibt viele Autisten, die mit Kot überall rumschmieren). In letzter Zeit hatte Helena Marie, die wegen ihres frühkindlichen Autismus noch nicht sauber und trocken ist, immer dann die Windel voll, wenn Mama gerade angefangen hatte zu frühstücken. Und diese hasst nichts mehr, als wenn jemand sie beim "heiligen Frühstück" stört - schon gar nicht wegen einer stinkenden Windel. Diesmal stank sie schon vorher und Mama wollte ihr Töchterchen unbedingt vorher säubern, was dieses natürlich ablehnte. Mama hat sie gewarnt, dass sie warten müsse, sobald das Frühstück begonnen habe oder dass ich als Oma es machen würde. Aber "unser kleines Schlitzohr" ist ja Spitze im problemlösenden Denken und findet immer Wege für sich, ihren Willen durchzusetzen. Kaum hatte Mama ins Brötchen gebissen, kam Helena Marie an. Mama wollte sich nun durchsetzen und ich versuchte, mit der Kleinen zum Windelnwechsel ins Zimmer zu gehen. Was macht das Luder? Schreit "selber", rennt ins Bad, holt sich ein neues Handtuch als Unterlage für auf den Boden, schnappt sich die Popotücher und will mich aus dem Zimmer drängen. Um zu vermeiden, dass sie sich selber die volle Windel abmacht und versucht, den völlig verschmierten Popo "selber" zu säubern, blieb Mama doch nichts anderes übrig, als vom Frühstückstisch aufzustehen und unter Gefluche und Geschrei Töchterchens Willen zu erfüllen. Ich bin grinsend in die Küche gegangen, wo Mamas Freund und ich uns richtig darüber amüsiert haben.
Warum sagt man eigentlich immer, Kinder mit frühkindlichem Autismus hätten einen niedrigen IQ?

Dienstag, 4. August 2015

Warten auf die Schule

Liebe Leser,
was geht im Kopf einer 6-jährigen mit Kanner-Autismus vor, die nicht kommunizieren kann, was sie beschäftigt? Sie hat wohl verstanden, dass ihr geliebter Kindergarten zu Ende ist, in den sie ein Jahr gegangen ist. Sie weiß auch, dass etwas kommen wird, was "Schule" heißt. Aber sie kann keine Fragen stellen, um zu erfahren, was sie da erwartet. Sie versteht nicht, wenn man ihr erklärt, dass sie dort lesen, schreiben und rechnen lernen wird. Obwohl sie davon schon einiges kann. Abweichend von vielen anderen Kindern mit Kanner-Autismus mit bisher ganz weniger Sprachentwicklung scheint sie über viel Intelligenz zu verfügen, mit der sie auch manche Defizite auszugleichen versucht.
Mein Gott, wie weit waren wir noch davon entfernt, als ich das Buch "Fanti, das kleine Schlitzohr - Leben mit einem autistischen Kleinkind" verfasste"! Dort hatten wir noch Bedenken, ob unser kleiner Schatz überhaupt in einen Kindergarten gehen könnte und über die unvermeidbare Schulpflicht machten wir uns schon Sorgen.  
Inzwischen war Helena Marie mit Freude und riesigen Entwicklungsfortschritten als Kind mit heilpädagogischem Förderbedarf in einer integrativen Kindergartengruppe, hat sich autodidaktisch am Ipad das ganze Alphabet beigebracht, kann die Wörter, die sie spricht, schreiben und lesen, zählt bis 200 und hat keine Probleme mit kleinen Rechenaufgaben. Die Kleine fordert Erwachsene auch auf, ihr Wörter und Zahlen aufzuschreiben und Dinge zu benennen. Sie ist extrem wissbegierig, lernt freiwillig und allein und mit viel Spaß. Allerdings wird unser kleiner Schatz Probleme haben, ihr Wissen auf Aufforderung preiszugeben, weil sie Aufgabenstellungen nicht verstehen wird und auch nicht "auf Kommando" reagiert.
Das ist es auch, was Helena Marie den Weg zur Regelschule versperrt. Außerdem ist sie weder sauber noch trocken und braucht ständige Beaufsichtigung. Sie wird deshalb - wie viele frühkindliche Autisten - auf eine Förderschule gehen, wo sie keinen Schulabschluss bekommen kann, auch wenn sie dort sehr viel lernen würde. 
Untersuchungen haben ergeben, dass selbst Asperger Autisten, die sehr gut sprechen und hochintelligent sind, auf Förderschulen für geistige Entwicklung landen, weil sie woanders auf Grund ihrer sonstigen Defizite und ihres Verhaltens nicht beschulbar wären. Autisten adäquat zu unterrichten, ist kaum möglich, selbst wenn man spezielle Klassen für Autisten einrichten würde. Jeder Autist ist so individuell in der Ausprägung seiner Besonderheiten, dass man mehrere Autisten niemals auf einen gemeinsamen Nenner bringen könnte. Im Grunde bräuchte jedes Kind mit Kanner- bzw. Asperger-Autismus individuellen Unterricht, was nicht realisierbar ist.
Wir machen uns Gedanken über die bevorstehende Schulzeit; Welche Gedanken sich meine Enkelin macht, wissen wir nicht. Sie kann es uns nicht sagen. Sie muss alles mit sich selber ausmachen. Wir können nur hoffen, dass die Kleine das Neue gut verkraftet. Wir würden ihr so gerne helfen, ihr davon erzählen, ihre Fragen beantworten und ihre Zweifel zerstreuen können. Das belastet uns, weil wir immer möchten, dass das kleine Herzchen unbelastet und glücklich durchs Leben geht. Aber vielleicht fallen ihr die neuen Eindrücke auch gar nicht so schwer wie vielen anderen Autisten, die kaum mit Veränderungen umgehen können. Helena Marie hat vor nichts und Niemandem Angst, stört sich nicht an Änderungen im Haus und im Kinderzimmer, mag Besuch und fremde Menschen und unbekannte Orte. So wird auch hoffentlich die neue Situation der Schule sie nicht überfordern, so dass sie nach einigen Tagen wahrscheinlich mit Freude hingehen wird.