Autismusshirt

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Samstag, 20. Dezember 2014

Ein autistisches Kind rettet die Ehe der Großeltern

Liebe Leser,
Sie werden sich über den Titel wundern.
Viel öfter kommt es vor, dass die Belastung durch ein autistisches Kind Ehen zerstört; die Ehen der Eltern, die den schweren Störungen des Familienlebens durch die schwierigen Verhaltensweisen des Kindes nicht mehr gewachsen sind. Ein Partner wirft dann die Brocken und lässt den anderen mit dem besonderen Kind allein. Dies jedoch ist heute nicht mein Thema.
Es geht um einen wunderbaren Lernerfolg, den ich als Oma durch meine autistische Enkelin durchlaufen konnte und der meine eigene Ehe gerettet hat. Dieses Kind hat mich gelehrt, Menschen so zu nehmen, wie sie sind und ihre Sonderheiten zu tolerieren, wenn Zusammenleben funktionieren soll. Ich kann mich inzwischen mühelos auf die sonderbaren Eigenarten der Kleinen einlassen und ihr diese gewähren, auch wenn sie von meinen eigenen Vorstellungen eines fünfjährigen Kindes weit entfernt sind. Bei einem erwachsenen Partner fällt die Rücksicht auf völlig andersartige Denk- und Lebensgewohnheiten erheblich schwerer, was dazu geführt hat, dass meine Ehe schon lange nur noch auf dem Papier bestand. Seit Jahren leben mein Mann und ich in demselben Haus in getrennten Wohnungen, um Streit zu vermeiden, weil die Lebenskonzepte so gar nicht zueinander passen. Dadurch aber, dass wir zusammen sehr oft auf unsere Enkelin aufpassen, sitzen wir seit Monaten viele Stunden zusammen und führen lange Gespräche. Tag für Tag wächst meine Erkenntnis, dass viele Ratschläge und Denkweisen meines Mannes, die ich früher vehement zurückgewiesen habe, mir auf sinnvolle Weise Sachverhalte aus einer anderen Perspektive beleuchten, die oft zu einer viel besseren Lösung eines Problems führt. Erst jetzt merke ich, wie verbohrt ich war und dass ich schwerlich andere Meinungen - innerhalb der eigenen Familie - akzeptieren konnte. (Außer bei Fremden - da trumpfe ich selten auf und lasse mir die Vorstellungen des Gegenübers aufdrängen.)
Jetzt hat sich das Blatt gewendet - und das verdanke ich allein meiner autistischen Enkelin, die mir absolutes Umdenken abverlangt. Ich werde von Tag zu Tag toleranter gegenüber meinen Nächsten (meinem Mann), um zu Hause Halt zu finden und den Partner Wert zu schätzen. Dafür und dadurch bekomme ich die nötige Kraft, meine Vorstellungen vor Fremden zu vertreten.
Mir ist von meiner Enkelin, die den Sinn von Schenken selber nicht versteht, ein großes Geschenk gemacht worden. - Und das nicht nur zu Weihnachten.




Ich wünsche allen Lesern ein Weihnachtsfest mit Geschenken, die nicht aus dem Kaufhaus sondern von Herzen kommen.
Ilse Gretenkord

Das "Christfest" - oder das "Fest der Geschenke?" naht

Liebe Leser,
jeder möge selber über den Titel nachdenken.
Diejenigen, die autistische Kinder haben, die "Weihnachten" wahrnehmen, werden das Fest auf die Weise feiern, die für das Kind so wunderbar wie möglich werden wird.
Meine Enkelin nimmt "Weihnachten" nicht wahr. Das macht uns einerseits traurig.
Andererseits ist sie für meine Tochter und mich und natürlich auch für den Opa DAS GESCHENK, das von keinem weltlichen übertroffen werden könnte. Wer darf schon täglich mit einem kleinen Engel - mit einem winzigen "B" davor - zusammen leben?


In diesem Sinn wünsche ich einen ruhigen 3. Advent.
Ilse Gretenkord

Freitag, 12. Dezember 2014

Erstaunliches Zeitgefühl

Liebe Leser,
die meisten Erwachsenen kommen ohne Uhr nicht aus. Wir haben das natürliche Zeitgefühl verloren, zumal ein Termin den anderen jagt. Kinder sind viel unbefangener und können über das Spielen die Zeit völlig vergessen. Und das ist auch gut so. Sie werden noch früh genug in die Tretmühle unserer schnelllebigen Tagesabläufe hinein gezogen und verlieren die Fähigkeit zum Treibenlassen, Relaxen und Chillen (was vorwiegend jüngere Leute sich mittlerweile oft als Auszeit wählen).
Umso mehr wundern wir uns über meine knapp sechsjährige Enkelin. Noch mit nicht drei Jahren hatte sie ein verblüffendes Zeitgefühl. Immer noch kennt sie keine Uhrzeiten und keine Wochentage - doch schon damals lief sie gegen Ende einer der zahlreichen Therapiestunden zu ihren Schuhen oder zu ihrer Jacke, um damit zu zeigen, dass jetzt Schluss sei. Auch stets dann, wenn die Therapeuten weder durch die Aufforderung zum Aufräumen oder durch einen sonstigen Hinweis durchblicken ließen, dass die Zeit um war.
Dabei haben die Therapiestunden unterschiedliche Länge von 30 Minuten, 45 Minuten und 60 Minuten.
Auch im Kindergarten zeigt sich nun dasselbe Phänomen. Momentan bleibt meine Enkelin nur donnerstags über Mittag dort. In der vergangenen Woche jedoch ergab sich eine Änderung und Mama holte sie am Donnerstag schon früh ab. Die Kleine wollte jedoch nicht gehen, weil sie im Gefühl hatte, dass dies doch der lange Tag sei. Als Mama dann am Folgetag nicht rechtzeitig kam, weil dieser ersatzweise verlängert werden sollte, kullerten die Tränen. Dabei wissen wir genau, dass dieses Kind noch in keiner Weise die Wochentage kennt.
Das sind nicht die einzigen Bereiche, in denen meine Enkelin einen "7. Sinn" zeigt. Sie ahnt Vieles voraus, handelt in manchen Situationen so, als wisse sie bereits, was komme.
Autisten haben eine andere Wahrnehmung, die ihnen das Leben in unserer Welt vielfach erschwert, die ihnen jedoch auch Möglichkeiten eröffnet, die uns neurotypischen Menschen verschlossen bleiben. Das lässt uns immer wieder dankbar staunen.
Ich wünsche allen ein 3. Adventswochenende ohne Zeitdruck.
Ilse Gretenkord

Samstag, 6. Dezember 2014

Warum brennt heute die 2. Kerze am Adventskranz?

Liebe Leser,
wie schön ist die Vorweihnachtszeit für ein fünfjähriges Kind. Die Vorfreude auf Weihnachten, das Kommen des Nikolauses, das Bummeln über den Weihnachtsmarkt, wo oftmals viele Weihnachtsmänner die Kinder beschenken und Weihnachtslieder ertönen. Das Warten auf das Christkind, das die Geschenke bringt, das Erzählen der Weihnachtsgeschichte, das Entzünden der Kerzen am Adventskranz, das Öffnen der Türchen am Adventskalenders, das geschmückte Zuhause, die geschmückten Geschäfte und Straßen - alles das macht auch schon die Kleinen auf eine besondere Zeit aufmerksam.
Es macht meine Tochter als Mama und mich als Oma doch traurig, wenn unser kleines Mädchen, das im nächsten Jahr schon in die Schule kommt, von all dem nichts mit bekommt. Die Kleine nimmt zwar inzwischen schon sehr viel wahr, ist aber noch so in ihrer autistischen Welt gefangen, dass sie - wie ich gestern schon schrieb - selbst den Nikolaus im Kindergarten ignoriert hat. Sie liebt Kerzen, würde es aber niemals akzeptieren, dass man an einem Adventskranz zunächst nur eine Kerze tagelang anzünden dürfte, danach nur zwei ...
Warten auf einen besonderen Tag, Geschenke als die ihren zu erkennen - das kann sie nicht einordnen. Melodien von Weihnachtsliedern kann sie nachsummen, wenn sie im Fernseher gesungen werden. Dann jedoch trällert sie diese auch im Sommer.
Meine Enkelin bleibt in ihrer Welt, ihre Tage bleiben relativ gleich. Aber das Schöne ist, dass wir den Eindruck haben, dass jeder Tag für dieses Kind ein schöner Tag ist. Denn die Kleine ist immer fröhlich, lacht und freut sich über winzige Kleinigkeiten, sieht einen Packen neuer Socken wohl als großes Geschenk an, egal, an welchem Tag sie diese bekommt.
Und mal ehrlich: Ist das letztendlich nicht für uns ein riesiges Geschenk? Ein immer frohes Kind, das nicht nur glücklich scheint an besonderen Tagen, an denen Besonderes geschieht und große Überraschungen und Geschenke anstehen wie am Geburtstag und zu Weihnachten?
Wir freuen uns jeden Tag mit ihr.
In diesem Sinne einen schönen 2. Advent.
Ilse Gretenkord

Freitag, 5. Dezember 2014

Meine Enkelin und der Nikolaus

Liebe Leser,
gestern hat im Kindergarten der Nikolaus eine einmalige Erfahrung gemacht.
Alle Kinder waren sehr aufgeregt und freuten sich riesig, als sie einen großen gefüllten Nikolausstrumpf bekamen, den die Erzieherinnen zuvor mit Leckereien gefüllt hatten.
Meine autistische, fünfjährige Enkelin nahm keine Notiz von dem verkleideten Mann. Als dieser ihr dann noch den Strumpf in die Hand gab, sah sie darin keinen Sinn und hatte keinerlei Interesse. Sie gab dem Nikolaus den Strumpf zurück.
Der staunte nicht schlecht, die Erzieherinnen mussten krampfhaft das Lachen unterdrücken und den anderen Kindern blieb der Mund offen stehen. Nach einigen Überredungskünsten der Erzieherinnen war unsere Kleine dann doch bereit, den Strumpf anzunehmen und sogar ein Foto zusammen mit dem Nikolaus machen zu lassen.
Doch der Inhalt des Strumpfes fand keinen Gefallen. Während alle anderen Kinder sich am liebsten sofort über die schokoladigen Teile hergemacht hätten, schaute meine Enkelin nicht einmal hinein. Sie hasst Schokolade und Süßigkeiten, isst weder Obst noch Nüsse und kann somit mit dem Inhalt des liebevoll gefüllten Nikolausstrumpfes nichts anfangen.
Autisten sind eben anders.
Ich wünsche allen Lesern heute einen schönen Nikolaustag.
Ilse Gretenkord

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Die andersartige Wahrnehmung von Autisten

Liebe Leser,
warum lässt sich meine Enkelin die Fingernägel säubern und schneiden - aber den Fußnägeln darf sich niemand nähern? Diese sind schon so scheußlich gewachsen und immer schwarz, weil sie unter lautem Protest und heftiger Abwehr die Zehen nicht berühren lässt.
Warum kann sie nichts auf dem Kopf ertragen - keine Mütze, selbst wenn es noch so kalt ist?
Warum empfindet sie Kälte nicht wirklich? Sie läuft - wenn wir sie nicht mit "Gewalt" hindern, barfuß und in Windeln bei Eiseskälte durch den Garten.
Warum empfindet sie Hitze nicht wirklich? Sie zieht sich in heißen Sommernächten zum Schlafen an, als müsse sie in einem Iglu übernachten.
Warum hört sie in manchen Situationen "das Gras wachsen" - und oft reagiert sie nicht, selbst wenn enormer Lärm sie umgibt?


Wir möchten manchmal in die Köpfe von Autisten hineinschauen können, um sie besser zu verstehen. Vielfach klappt die Kommunikation mit ihnen nicht, weil wir im wahrsten Sinne des Wortes "aneinander vorbei" denken, fühlen, reden, agieren....
Das macht es Eltern oft so schwer, ihren autistischen Kindern gerecht zu werden, weil sie deren Bedürfnisse gar nicht verstehen. Aber auch das Erziehen wird zu einer Gratwanderung. Wenn Eltern eine Regel bei ihrem Kind durchsetzen und dieses sich mit allen Kräften dagegen wehrt, so wissen sie nicht, ob das nur Trotz ist, weil es seinen Willen nicht bekommt, oder ob das Verbot das ganze "autistische Weltbild" aus den Angeln hebt. In diesem Fall richtet es viel Schaden im ohnehin ungefestigten Vertrauen in die dem Kind fremde Welt an.
Die Unsicherheit bleibt: Doch je mehr Eltern versuchen, sich behutsam in ihr Kind hinein zu fühlen, es immer genau beobachten und viel Vertrauen aufbauen, desto besser werden sie sich an die Welt ihres Kindes heran tasten, auch wenn sie immer außen vor bleiben werden.
Ich wünsche einen wohligen Wintertag.
Ilse Gretenkord

Montag, 1. Dezember 2014

Private Förderschule für geistige Entwicklung

Liebe Leser,
im kommenden Jahr fängt für meine Enkelin "der Ernst des Lebens" an. Sie muss in die Schule. Als frühkindliche Autistin kommt für uns nur eine Förderschule in Frage, weil Inklusion in einer Regelschule für das Kind und die Mitschüler eine Zumutung darstellen würde. Darüber habe ich bereits in einem früheren Blogbeitrag meine Meinung geäußert.
Andererseits gibt es zwei Argumente, die auch gegen diese Art der Förderschule angeführt werden könnten.
Zum einen wurde in der vergangenen Zeit deutlich (vor allen Dingen seit dem erst kürzlich erfolgten Eintritt in den Kiga), dass die Kleine sich stark zu "normalen" Kindern hingezogen fühlt, diesen Vieles abschaut und von ihnen Erstaunliches lernt.
Desweiteren bestätigt jede Person (Therapeuten, Fremde, Verwandte, Bekannte), die meine Enkelin kennen lernt, bereits nach kurzer Zeit, dass dies ein (sehr) intelligentes Mädchen sei.
Ein intelligentes Kind auf eine Schule für geistige Entwicklung schicken? Ist das richtig? Ein Kind, das mittels ihres Ipads autodidaktisch das Alphabets beherrscht und die zu den Anfangsbuchstaben gesprochenen Wörter nach und nach selber spricht? Ein Kind, das fasziniert ist von Zahlen und diese rauf- und runterzählt im Zahlenraum bis 20? Ein Kind, das Handlungsabläufe im Haushalt (Waschmaschine einstellen, Kaffeemaschine bedienen, Wäsche falten u. v. m.) nur einmal zu sehen braucht, um es selber machen zu können?
Auf der anderen Seite hat die Kleine sehr viele Defizite aufgrund Ihrer "Behinderung". Noch spricht sie so gut wie gar nicht, braucht ihre Rituale, reagiert oft nicht auf Ansprache, lässt sich in der Regel aktiv nichts zeigen und erklären, kennt keine Gefahren, lebt in ihrer Welt, die sie sich einrichtet und nach außen so weit kommuniziert, dass die Erwachsenen meist erkennen können, was sie braucht. Der Umgang mit meiner Enkelin wird dann höchst problematisch, wenn der Erwachsene die Gradwanderung zwischen dem, was sie will oder braucht, und dem, was sie darf, nicht schafft. Dann wird es sehr laut, dann schreit sie sich die Kehle aus dem Hals, dann wehrt sie sich mit Leibeskräften, wirft Gegenstände durch die Gegend, knallt Türen, haut sich selber, hält sich die Ohren zu, In der Öffentlichkeit schmeißt sie sich auf den Boden, so dass niemand mehr in der Lage ist, sie von der Stelle zu befördern. Oder selbst zwei starke Erwachsene vermögen es nicht, das Kind, das sich steif macht wie ein Brett, in den Autositz zu bekommen. Sie hat auch eine starke Weglauftendenz, wenn sie ein anderes Ziel im Auge hat als die Begleiter. Festhalten ist für dieses Kind das Schlimmste, was man ihm und sich selber antun kann. Da haben selbst drei Erwachsene kaum eine Chance gegen sie.
Ein Kind, das diese Gefühle nicht steuern kann, weil Vieles nicht seine Welt passt, weil viele Eindrücke es überfordern, weil Umwelt und Erfahrungen von ihm auf andere Weise wahrgenommen werden als durch das Umfeld: Deshalb hat meine Enkelin auf einer Regelschule nichts zu suchen. Wir sind jedoch überzeugt, dass die von uns gewählte Schule jedes Kind individuell fordert und fördert. Also wird dort auch ein intelligentes Kind nicht zu kurz kommen und nach seinen Fähigkeiten lernen dürfen.
Viele Grüße!
Ilse Gretenkord