Autismusshirt

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Mittwoch, 18. Juni 2014

Autisten und ihr Kontrollzwang

Schon sehr früh haben wir gemerkt, dass meine kleine Enkelin sich partout nichts zeigen ließ und alles, was sie kann, autodiaktisch erlernte. Als sie die ersten Stapeltürmchen bekam, ließ sie es nicht zu, dass ihre Mama ihr zeigen wollte, dass das größte zuunterst kam und dann die weiteren folgten, bis das kleinste oben aufsaß. Sie schien sich überhaupt nicht für die Stapelbecher zu interessieren. Nach einer ganzen Weile jedoch sahen wir plötzlich, dass sie sie doch gestapelt hatte; doch nach ihrer Art. Genau der Größe nach - doch das kleinste war unten und das größte oben.
Sie ist jetzt 5 Jahre alt und hat seit langem die Diagnose frühkindlicher Autismus. Ein bekannter Autismusexperte bemerkte letztens, sie sei Autistin wie aus dem Handbuch - wegen ihres ausgeprägten Kontrollzwangs.
Für Autisten ist die Welt um sie herum chaotisch. Sie können Vieles nicht verstehen und einordnen. Sie verspüren nur dann Sicherheit, wenn sie sich ihre eigene Ordnung schaffen. Das geschieht bei manchen dadurch, dass sie über Situationen die totale Kontrolle gewinnen. Sie suchen sich Bereiche aus, die sie selber erlernen (durch Ausprobieren oder durch Abschauen) und dann eigenständig ausführen. Sei es der kreative Umgang mit ihrem Spielzeug oder mit technischen Geräten, sei es die vollständige Selbstbestimmung bei der Wahl der Kleidung und dem Zeitpunkt, wann sie sich anziehen möchten und und und.
Deshalb gibt es auch unendliche Kämpfe und Ausraster, wenn jemand ihnen diese Kontrolle nehmen will. Meine Enkelin ist nicht zu bändigen, wenn sie z.B. zu einem bestimmten Zeitpunkt angezogen sein soll, weil ein Termin wahrzunehmen ist. Sie schreit und wehrt sich aus Leibeskräften, weil sie die Notwendigkeit nicht versteht und der für sie falsche Zeitpunkt sie in die Unsicherheit der chaotischen Welt stürzt, was wahrscheinlich Panik in ihr auslöst.
Dann stehen die Angehörigen vor einem echten Dilemma. Hier geht es nicht darum, sich gegen den "einfachen" Trotz eines Kindes durchzusetzen. Hier gilt es erst einmal darum zu verstehen, warum das autistische Kind so heftig reagiert. Dann muss abgewogen werden, ob ein Termin so wichtig ist, dass es nötig ist, das Kind dafür so aus seiner Ordnung und Sicherheit zu reißen. Ist es unumgänglich (z.B. bei wichtigen Therapien, Untersuchungen oder Schulpflicht), so muss man viel Nerven und Geduld aufbringen, um mit dem Kind die Situation durchzuhalten, bis es sich (u.U. erst nach Stunden) beruhigt hat und fähig ist, die Kontrolle abzugeben.

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